Tragödien am Gleis
Lokführer: „Die Angst fährt mit“

03.04.2021 | Stand 03.04.2021, 18:10 Uhr

2.500 Tonnen Masse: Ein Güterzug, den Fuchs bewegt hat. Foto: af

Bahntragödien werden für alle Betroffenen zu schlimmen Ereignissen – ein Lokführer schildert diese Unfälle aus seiner persönlichen Sicht.

Von Veronika Bayer

Landkreis Landshut. „Ich bin ein Lokführer.“ Alexander Fuchs (38) aus dem Landkreis Landshut arbeitet bei einem privaten Eisenbahnunternehmen. Im Interview mit dem Wochenblatt möchte er trotz persönlicher Betroffenheit auf eine Situation aufmerksam machen, die seiner Meinung nach von der Öffentlichkeit zu oft übergangen wird: „Wir leiden auch.“

Alexander Fuchs ist als Zugführer beschäftigt, doch seit Januar, wie er sagt „arbeitsunfähig zuhause“: Er kann aktuell seinem Beruf nicht mehr nachgehen. Vorausgegangen waren in einer Arbeitswoche zwei schlimme Unfälle in Gleisen. Bei letzterem in der Nähe von Siegen haben Vater und acht Monate altes Baby überlebt, sagt der Lokführer. Zum ersten Vorfall kann er sich nach wie vor nicht äußern.

Eine eignungspsychologische Untersuchung und bis zu drei Jahre Ausbildung gingen dem Beruf des Lokführers voraus: Träume, Wünsche, wie in jedem anderen Leben. Unfälle aber könnten in dem Beruf „jederzeit geschehen“, es gäbe „mannigfaltige Störungen an Bahnübergängen“, so Fuchs.

Als er jünger gewesen sei, sagt er, hätten ihn die Unfälle nicht ganz so schlimm mitgenommen: „Mit dem Alter wird man empfindlicher, wenigstens geht es mir so.“

Mit drei bis fünf Unfällen im Gleisbett müsse jeder einzelne Lokführer im Schnitt fertig werden, das sei ‚normaler‘ Rahmen „für ein Arbeitsleben“. Fuchs beschreibt, wie gravierend das sei, beschreibt die Angst davor, wieder auf einen Zug steigen zu müssen: Diese Angst, sie fahre mit.

Er sei allein mit den Ereignissen, finde kein Mitgefühl von Seiten der Gesellschaft. Makaber klingt seine Stimme, als Fuchs hinzufügt: „Auf diese Weise auch zum Opfer werden, das heißt dann Berufskrankheit? Ein weiteres Leben wird ruiniert!“ Es sei einfach nie die Rede davon, es herrsche Unverständnis – und Unkenntnis: „Der Zug, der sich mit 120 Tonnen Masse und Richtgeschwindigkeit von 120 km/h bewegt, der braucht einen Kilometer Bremsweg, um zum Stehen zu kommen. Es ist unmöglich, kurzfristig zu halten! Man geht bei der Eisenbahn einfach nicht davon aus, dass jemand auf dem Gleis sein könnte.“

Ein ICE mit 300 km/h brauche sogar 3.000 Meter Bremsweg. Und: „Die Anwohner beschweren sich, die Züge müssen leise sein. Deswegen gibt es neue Bremsen, die sind dann auch leise wie gewünscht. Bahnübergänge sind einfach mordsgefährlich. Hier müssten Eltern und Erzieher in der Schule viel mehr Gewicht auf Verkehrsbildung legen. Viele Unfälle wären vermeidbar. Und in 90 Prozent aller Vorfälle sind nicht die bei der Bahn direkt betroffenen Menschen schuld.“

Als Lokführer sei er, wie er betont, „ebenfalls ein Freund von der Abschaffung von Bahnübergängen“. Aber: Zehn Jahre brauche es, um überhaupt einen einzigen Übergang zu realisieren. „Sparwahnsinn“, so Alexander Fuchs, würde die Geschichten noch gefährlicher machen.

Dabei gäbe es bereits mehr als genug Notarzteinsätze am Gleis: „Dreimal pro Tag gibt es an Gleisen Unfall oder Suizid“, wird auch ein Lokführer mit von den tragischen Ereignissen betroffen. „Bei einem Kollegen stand die Staatsanwaltschaft später im Haus, sie sagten ihm kalt ins Gesicht, er sei schuld gewesen. Nach so einem Schlag kann man nie wieder normal leben“, so Fuchs. Hilfe erhalte der Lokführer, der über die Ereignisse spricht, von seiner Frau und der Berufsgenossenschaft. Aktuell muss Alexander Fuchs sich mit der Frage auseinander setzen, wie es für ihn weitergeht: Findet der Betrieb einen Ersatzarbeitsplatz? Muss er eine Umschulung machen? Seine Zukunft? Völlig ungewiss: „Ich weiß nicht, ob ich je wieder die Kraft finde, auf eine Lok zu steigen. Ich weiß nicht, wie es weitergeht.“ Viele andere auch nicht.