Auf dem Dach der Welt
Dingolfinger Biker (57) wagte „Mount Everest für Motorradfahrer“ in Indien

20.08.2022 | Stand 12.10.2023, 11:54 Uhr

Chang La heißt die Passhöhe, die Heinz Gillig (57) aus Dingolfing hier gemeistert hat. −Fotos: privat

Von Veronika Bayer

Der Dingolfinger Heinz Gillig ist leidenschaftlicher Biker. Nun war er am höchsten mit einem Fahrzeug befahrbaren Punkt der Erde: Dieser liegt im Himalaya-Gebirge in Indien.



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Seit rund 40 Jahren ist er fast täglich auf zwei Rädern unterwegs, ob auf der Straße oder im Gelände, sowohl beruflich als Fahrlehrer als auch in seiner Freizeit. Bis zur Isle of Man in der Irischen See, wo er zur „Raceweek“ beim TT-Rennen war, hat der 57-Jährige nach eigener Aussage „fast jeden Winkel in Europa“ erkundet. Nachdem Heinz Gillig auch schon auf den höchsten befahrbaren Gipfeln Europas war, stellte sich ihm die Frage: Wo ist eigentlich der höchste mit einem Fahrzeug anfahrbare Punkt der Erde? Die Antwort: im Himalaya. Und zwar im indischen Bundesstaat Ladakh. Ein Abenteuer, das Heinz Gillig in die Tat umsetzte. Vom 1. bis 14. August befuhr der Dingolfinger die höchsten Pässe der Welt.

Von der Ausrüstung angefangen: Viel war zu organisieren, bevor es losgehen konnte. Zum Beispiel mussten Notfallmedikamente gegen Höhenkrankheit mitgenommen werden. Denn dort hoch oben, wo es die meiste Zeit keinen Handyempfang gibt und wo die Luft so dünn ist, dass man jeden Tag Kopfschmerzen hat, komme auch so bald kein Rettungsteam. Daher standen auch zusätzliche Motorradtrainingseinheiten auf der To-Do-Liste des passionierten Fahrers.

Landung auf über 3.000 Höhenmeter

„Der Flug ging über Delhi nach Leh im indischen Bundesstaat Ladakh, wo der Flieger auf einem der höchsten Verkehrsflughäfen der Welt nach einer abenteuerlichen Landung in 3.256 Meter Höhe aufsetzte“, beschreibt Heinz Gillig. Zwei Tage seien vergangen, bis er sich an die Zeitumstellung angepasst und akklimatisiert habe – und auch an das neue Motorrad gewöhnt, eine indische Royal Enfield Himalayan.
Man ist im Team unterwegs: Gilligs Gruppe bestand aus acht Fahrern und einem Guide, der über die erforderlichen Genehmigungen für die Pässe verfügte. „Ohne lokalen Führer kommt man da keinen Meter voran“, beschreibt der Fahrer. „Da die Strecken jeweils im Grenzgebiet der Atommächte Indien, Pakistan und China liegen, ist die Situation dort extrem angespannt und das Befahren nur mit dem Inner Line Permit erlaubt.“ Permanent sehe man lange Militärkonvois, die zwischen den zahlreichen Kasernen unterwegs seien.

Die Straßen, sagt Gillig, seien oft in einem sehr schlechten Zustand. Die größte Herausforderung sei aber nicht der Schotter unter den Reifen. Noch nicht einmal heilige Kühe, die plötzlich nach einer Kurve auftauchten oder der Linksverkehr, der in Indien gilt – das Land war bis 1947 englische Kolonie.

Für den Dingolfinger Fahrlehrer war es ein ganz neues Erlebnis, sich an den „extrem krassen“ Fahrstil der Einheimischen anzupassen: „PKW- und LKW, sogar Pilgerfahrzeuge: Die fahren wie die Bekloppten. Wenn da ein LKW kommt, musst du sofort ausweichen. Der geht nicht mal vom Gas runter. Es herrscht das Recht des Stärkeren.“ Von Polizeikontrollen fehle jede Spur. Alle paar Kilometer erinnern betonierte Schilder die Passanten daran, sich doch bitte an die Verkehrsregeln zu halten: „Please follow traffic rules“ und weitere nützliche Tipps – etwa, dass man keine Frau finde, die einen heiraten wolle, wenn man rase – scheren allerdings kaum jemanden, beschreibt Gillig seine Eindrücke.
Es habe einer Eingewöhnungsphase bedurft, bis er sich an die neue Situation gewöhnen konnte, berichtet der Dingolfinger. Im Übrigen: „Da die Route ständig über 3.500 Höhenmeter und fast täglich über mehrere Pässe zwischen 4.000 und 5.360 Meter ging, war ich ganz froh, eine gute Grundkondition zu haben und die Höhe vom Bergsteigen her gewöhnt zu sein,“ so Heinz Gillig. Trotzdem: Bei fehlenden Leitplanken neben steilen Abhängen auf Serpentinen braucht es neben Fahrerfahrung auch starke Nerven.

Übernachtung am höchsten Punkt und Pässe

Am Pangong See, der halb in Indien und halb in China liegt, fand schließlich die höchste Übernachtung auf über 4.238 Höhenmeter statt. Der Weg dorthin über lehmige Schotterpisten und schier „endlose“ Wasserdurchfahrten sorgten bei den Abenteurern neben nassen Stiefeln auch für zahlreiche Adrenalinschübe.

Doch erst danach ging es an die eigentliche Etappe, das angesteuerte Ziel: die höchsten befahrbaren Pässe der Erde, der „Khardung La“ und der „Chang La“ mit je circa 5.360 Meter Höhe. Der Khardung La, so Gillig, gilt als der Mount Everest für Motorradfahrer. Um zu den Pässen zu gelangen, startete die Gruppe sehr früh. Die Enfields seien bis dato unproblematisch gelaufen, dennoch wurden sie vor Aufbruch noch einmal überprüft.

Jeweils circa 15 Kilometer vor den Pässen lagen die Checkpoints des Militärs, für die noch einmal Zeit reserviert war. Nach dem Passieren nahm die Gruppe Strecke und Gipfel in Angriff – Spitzkehre für Spitzkehre, Schotter, Serpentinen, dünne Luft. „Fahrerisch sehr anspruchsvoll“, beschreibt Gillig. Nach den Gipfeln ging es auf der anderen Seite über teils abenteuerlichen Schotterstrecken zurück ins gegenüberliegende Tal. „Man muss voll konzentriert sein, jede Sekunde des Tages.“
Auch auf dem Peak sei er von Höhenkrankheit zum Glück verschont geblieben, berichtet Gillig. Einen „deutlichen Leistungsverlust“ habe er beim Überqueren der Pässe aber beim Motorrad feststellen können: In der dünnen Luft der Höhen ging der Maschine schnell die Puste aus. Erst auf dem Weg zurück ins Tal habe die Motorleistung dann mit jedem gefahrenen Kilometer bergab wieder zugenommen.

Heinz Gilligs Fazit: „Kräftezehrend, aufregend und fahrerisch sehr anspruchsvoll. Die Reise durch das Himalaya Karakorum Gebiet war ein anstrengendes, aber unvergessliches Erlebnis.“ Der Weg führte an vielen Klöstern vorbei, Kulturgüter, die teilweise über 1.000 Jahre alt sind. Und die Aussicht ist auch ansonsten spektakulär.

Dennoch freue sich der Dingolfinger Fahrlehrer, nun seit ein paar Tagen – nach zwei Wochen Tour, davon zwölf Tage reines Motorradfahren – wieder zuhause zu sein: „Hierzulande halten sich die Verkehrsteilnehmer und Verkehrsteilnehmerinnen sehr viel besser an die geltenden Verkehrsregeln.“