Musical
Sex, Begierde, Freiheit – bevor die Nazis kamen

18.03.2018 | Stand 13.09.2023, 6:27 Uhr
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Die Erwartungen waren extrem hoch: Mit aufwendigen Musicals lockt das Theater Regensburg die Zuschauer in die Ränge. Cabaret, der 1971 mit Liza Minelli verfilmt zum Kult avancierte, blieb nicht hinter den Erwartungen zurück. Was auch an der Besetzung lag.

REGENSBURG Die Erwartungen waren extrem hoch beim Publikum, das merkt man daran, dass gerade die Musicals im Theater Regensburg stets gut besucht sind und sich ein Stammpublikum gebildet hat. Am Samstagabend dann: Cabaret! Das Stück, mit dem Liza Minelli in der gleichnamigen Verfilmung zusammen mit Michael York 1971 eine Weltkarriere begründete, geht auf den Schriftsteller Christopher Isherwood zurück. Der war eine Art Vorreiter der Aufklärung hin zu einer modernen Gesellschaft: Isherwood war bekennend schwul, als er sich mit 48 Jahren den damals 18-jährigen Don Bachardy als Lebensgefährten nahm, geriet dies zum veritablen Hollywood-Skandal.

Mit Cabaret aber verarbeitete Isherwood eine zugleich beklemmende wie berauschende Erfahrung: Am Vorabend der sogenannten „Machtergreifung“ (ein widerliches Nazi-Propaganda-Wort übrigens) lebt er in Berlin, erlebt, wie das Gesicht der Freiheit und Liberalität der goldenen 20er Jahre zu einer Fratze wird. Cabaret, aus dem man Dank Liza Minelli Stücke wie „Money Makes the World Go Round“ kennt, ist ein glühendes Bekenntnis dazu, dass Liebe und Sexualität ein Geschenk ist, dass Homosexuelle, Grenzgänger der Nacht, die Einsamen im Scheinwerferlicht große Herzen haben können. Heute unvorstellbar, doch damals riskierte man aus Liebe sein Leben. Isherwood schrieb ein Porträt wunderbarer Menschen, die von Bürgertum verstoßen wurden.

Es ist schwer erträglich, wenn auf der Bühne das Hakenkreuz aufleuchtet, wenn ein Chor aus Fackelträgern mit einem blonden Eva-Braun-Verschnitt derart harmonisch vaterlandstriefende Lieder schmettern, dass die Harmonie in den Ohren schmerzt. Es tut weh, wenn man sieht, wie aus der einst pulsierenden Stadt Berlin, ein Hort der Freiheit und der Freizügigkeit, ein Ort der Diktatur wird. Es schmerzt, wenn die Liebenden am Ende an dem Aufziehen des Nazi-Grauens zerbrechen. Gott sei Dank verschonen uns die beiden Jung-Talente Johannes Pölzgutter (Regie) und Philip Rubner (Bühne) mit seltsamen Gegenwartsvergleichen. Die Reise ins Berlin der 20er und 30er Jahre endet in Auschwitz. Das größte Menschheitsverbrechen dauernd mit der Gegenwart zu vergleichen, wie es derzeit gerade in linken Künstlerkreisen en Vogue ist, verharmlost das, was damals geschah. Diesem Reflex erliegen die beiden nicht – Gott sei’s gedankt. Auschwitz ist so singulär, da braucht es keine Vergleiche.

Dass Cabaret ein Riesenerfolg für das Theater wird, ist ohne Zweifel aber auch ein Verdienst der Schauspieler, Tänzer und Musiker, die das Stück, das starke Handlungsstränge eigentlich vermissen lässt, zu einem großartigen Erlebnis machen. Ein ganz besonderes Erlebnis ist die Rückkehr eines langjährigen Regensburgers, der in der Ferne etwa als Intendant in Eggenfelden von sich reden machte: Peter Nüesch ist einfach ganz große Schauspiel-Schule. Viele Regensburger werden sich noch an wunderbare Abende mit Nüesch erinnern, der die Kulturszene bis zu seinem Weggang vor knapp 20 Jahren unglaublich bereicherte. Jetzt steht er wieder auf einer Regensburger Bühne, schon allein das ist ein Geschenk. Ganz grandios ist auch Matthias Laferi, der das Alter Ego von Isherwood verkörpert. Adrian Becker, den das Publikum in „La Cage aux Folles“ als Grenzgänger zwischen den Geschlechtern mit erotischer Ausstrahlung und großer, ausdrucksstarker Musical-Stimme lieben lernte, mimt den Conferencier, den Ansager. Ganz wunderbar auch wieder die Mitglieder des Tanztheaters wie Lucas Roque Machado, Tamas Mester und Alessio Burani, die mit wunderschönen Körpern eine Laszivität auf die Bühne bringen, dass man sich gut und gerne an den Kit Kat Club erinnert, der in Berlin der Gegenwart die Freizügigkeit der 20er Jahre wieder aufleben lässt. Gleiches gilt natürlich für die weiblichen Mitglieder des Tanzensembles, aber, das sei dem Autoren erlaubt, Geschmäcker sind eben verschieden. Wofür Cabaret ein wunderbares, wenngleich mahnendes Zeichen setzt. Fazit: Grandioses Musical für Herz und Hirn!

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