Biblische und bäuerliche Traditionen
Wenn eine Krippe zum Heimatmuseum wird

12.12.2017 | Stand 31.07.2023, 19:10 Uhr
−Foto: n/a

Dr. Walter Madl hat eine Krippe gebaut, die Einblicke in alte Handwerkstraditionen gibt.

VILSHOFEN Eigentlich war Dr. Walter Madl wieder einmal auf der Suche nach Moosen. Denn der Plan des Naturwissenschaftlers war, ein Buch über die Moose im Bayerischen Wald zu veröffentlichen. Sein älterer Sohn Wolfgang begleitete ihn wie so oft zu diesen Ausflügen. Und als die beiden beim Abendessen zusammen saßen, da sagte Wolfgang: „Meinst wirklich, dass das mit den Moosen viel Sinn macht? Arbeite lieber an der Krippe weiter, denn ich wüsste bis heute nicht, was eine Gsodschneid ist, wenn ich sie nicht als Kind in unserer Krippe gesehen hätte.“

Und da wurde dem pensionierten Lehrer bewusst, dass eine Krippe viel mehr sein kann als eine biblische Botschafterin. Sie kann auch ein Heimatmuseum sein, das oft vergessene Traditionen und Lebensweisen unserer Heimat wieder lebendig werden lässt. Und so beschäftigt sich Dr. Walter Madl aus Albersdorf bei Vilshofen seit diesem Tag im September 2001 aus einem ganz anderen Blickwinkel mit seiner Krippe. Aus der einstigen kleinen Krippe mit einem Stall rund um das Geschehen der Heiligen Nacht ist eine faszinierende, sechs Quadratmeter große Krippenlandschaft entstanden. So authentisch, dass man sich beim Betrachten zurückversetzt fühlt in das frühe 19. Jahrhundert.

Während der Stall, in dem Maria und Josef ihr Jesuskindlein in die Krippe gebettet haben, erhöht steht, nimmt unterhalb ein Bach seinen Lauf. Im Bach selbst tummeln sich viele Fische, ein Biberbau staut das Wasser und der Fischreiher wartet auf fette Beute. Eine Brücke führt über den Bach in Richtung Stall, dort wo die Menschen den Messias erwarten. In der Nähe des Baches befindet sich eine Mühle, deren Holz gezeichnet von der Zeit silbergrau ist. Das Wasserrad ist voller Moos. Und an der Mühle fährt gerade der „Millionenbauer“ mit seinem schwer beladenen Wagen vorbei. Auch ihn zieht es in Richtung Stall. Und wenn man so vor der Krippe steht, den „Millionenbauer“ mit seinem Gespann genauer anschaut, dann hat man das Gefühl, dass man das Schnauben der Tiere hören kann. Im Kopf entsteht eine eigene Geschichte, die sich mit all den Menschen und Traditionen beschäftigt, die die Krippenlandschaft zeigt. Man taucht ein in eine vergangene Welt, die einen regelrecht fesselt.

Und genau das ist es, was Dr. Walter Madl mit seiner Krippe erreichen will. „Die Krippe wird so zum Merkort im doppelten Sinn. Die Kinder oder auch die Erwachsenen werden auf etwas aufmerksam, bemerken es und merken es sich. Damit können alte Traditionen und das bäuerliche Leben von damals weitergegeben werden“, so der passionierte Krippenbauer.

Damit die Krippe dem heimatkundlichen Anspruch gerecht werden kann, muss sie aber auch authentisch sein. Sie muss sich an echten Vorbildern orientieren, nach einem einheitlichen Krippenmaßstab gebaut werden, in einen bestimmten Zeitraum angesiedelt werden und bis ins Letzte detailgetreu gebaut sein. Dr. Walter Madl hat das in seiner Krippenlandschaft perfekt umgesetzt.

Die beiden Gebäude, die in seiner Krippenlandschaft stehen, gibt oder gab es auch in Wirklichkeit. So ist der Stall, in dem Jesus zur Welt kommt, ein altes Brechelbad, das bei Laufen an der Salzach stand. Und die Säge, die am linken Rand die Szenerie begrenzt, ist ein exakter Nachbau der Ginghartinger Sägemühle im Landkreis Freyung-Grafenau.

Nichts ist hier dem Zufall überlassen. Dr. Walter Madl war mehrfach zu Besuch in der Sägemühle, um sie zu vermessen. Anschließend wurden Pläne gezeichnet und Modelle gebaut. Heute ziert die Mühle im Maßstab 1:10 als eines der Schmuckstücke die Krippenlandschaft. Natürlich funktionieren auch alle technischen Teile in der Säge und so dreht sich nicht nur das Mühlenrad, nein, auch das Sägeblatt bewegt sich auf und ab ...

Neben den beiden Gebäuden sind es gerade die Figuren, die die Krippe von Dr. Walter Madl so lebendig erscheinen lassen. Fast alle hat der 82-Jährige eigenhändig geschnitzt: Schafe, Katzen, Hunde, Ochs und Pferd, aber auch Frauen, Kinder und Männer. Darunter sind auch Figuren und Szenen, die das Handwerk der damaligen Zeit besonders gut repräsentieren.

So wandert steten Schrittes ein Mann beladen mit Werkzeug durch die Landschaft: ein Störzimmerer. „Dieser gehörte zu den Wanderhandwerkern, die früher auf dem Land von Haus zu Haus oder von Hof zu Hof gezogen sind, um dort ihrem Handwerk nachzugehen. Sie bekamen von ihrem Auftraggeber Kost, Logis und Tagelohn. War die Arbeit verrichtet, zogen sie weiter“, weiß Dr. Walter Madl.

Eine weitere sehr beeindruckende Personengruppe der Krippe sind die Winzerer Hausierer. Mit einem Wagen voller Korbwaren ziehen sie durch das Land, um die Waren an die Leute zu bringen. Und auch hier wird altes Handwerk wieder begreifbar: Das Flechten der Körbe, das kaum jemand mehr beherrscht sowie die Tradition durch das Land zu ziehen, um die Waren unterwegs zu verkaufen.

Und dann fährt da der schwer beladene Millionenbauer mit seinem „Dohawagen“ die Straße entlang. Allein sein Wagen ist eine Schau. Originalgetreu nachgebaut. Sämtliche Beschläge selber „geschmiedet“ und technisch einwandfrei. Wenn Dr. Walter Madl den Wagen in seine Einzelteile zerlegt, einen unter den Kutschbock blicken lässt und dann die Bauweise erklärt, dann hängt man regelrecht an seinen Lippen und kann sich sicher sein, eine Menge dazugelernt zu haben, wenn der Wagen wieder zusammen gebaut ist.

Neben den Figuren hat der 82-Jährige auch viel bäuerliches Gerät in seine Krippe integriert. So zum Beispiel die legendäre „Gsodschneid“, mit der alles begann. Das Original steht übrigens im Freilichtmuseum Finsterau. Diese „Gsodschneid“ brauchten die Bauern früher, wenn im Winter das Futter für das Vieh knapp wurde, sodass das Futterheu mit Stroh gestreckt werden musste. Um dieses Gemisch für die Tiere schmackhaft zu machen, wurde das Stroh klein hergeschnitten und im Kessel kurz gesotten, daher der Name „Gsodschneid“. Andere Handwerksgeräte, die man in der Krippe entdecken kann, sind etwa die Heinzelbank, der Schleifstein, die Reisigbündelmaschine oder auch Brechel und Hechel. Und mit Sicherheit werden es noch viele mehr werden, denn auf die Frage, wann die Krippe fertig ist, schmunzelt Dr. Walter Madl nur und sagt: „Fertig sein wird sie wohl nie!“

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