Eine kleine Zeitreise
Mit der Kreisheimatpflegerin auf der Suche nach Weihnachten von früher

19.12.2018 | Stand 04.08.2023, 3:24 Uhr
−Foto: n/a

Ob in Zeiten der Not oder in unserem hektischen Alltag: Der „Geist der Weihnacht“ ist immer spürbar geblieben

LANDKREIS. Das Weihnachtsfest hat sich sehr verändert mit der Zeit. Immer neue Trends wechseln sich ab. Was bleibt, ist der übliche „Weihnachtsstress“. Mit Kreisheimatpflegerin Renate Heinrich wollen wir uns - wie Charles Dickens´ Ebenezer Scrooge - auf die Suche nach dem Geist der Weihnacht in die Vergangenheit begeben.

Christkindanschießen und Klopfergehen einst & jetzt

Weihnachtliche Bräuche, wie sie einst im Voralpenland üblich waren, sind teils in Vergessenheit geraten oder auf veränderte Weise wieder aufgelebt. So kann sich Renate Heinrich - Jahrgang 1960 - noch gut an das Christkindanschießen in ihrer Kindheit erinnern: „Da zogen die Buben bei Einbruch der Dunkelheit mit ihren Kapselbüchsen los, um das Christkind anzuschießen: Mit dem Krach sollten die bösen Geister vertrieben werden, damit das Heilige Christkind zur Erde kommen kann“, schildert sie den Unterschied zum Christkindanschießen, wie es heute beispielsweise von der Burghauser Herzogstadt organisiert wird.

Wahrlich aus der Not geboren ist das Klopfergehen: „Es gab immer Leute, die ihr gutes Auskommen hatten und Leute, die bettelarm waren. Weil die Menschen in der Adventszeit immer schon zugänglicher und freigiebiger waren, gingen die Armen zum Betteln. Die Höfe waren damals ringsum verriegelt, und so mussten sie ordentlich ,klopfa‘. Man musste natürlich etwas bieten für die milden Gaben und so sangen die Klopfageher, erzählten Geschichten, ließen Rätsel raten und boten damit Unterhaltung“, weiß Renate Heinrich: „Wiederaufgelebt ist dieser Brauch nach dem 2. Weltkrieg, als es so viele Flüchtlinge gab. Die Klopfergeher heute sammeln Spenden für andere Bedürftige, was ich sehr schön finde“.“

Paradeiserl war Vorgänger des Adventskranzes

Die Weihnachtsdekoration erinnert heutzutage an einen elektrischen Ausbausatz - mit all´ den Lichtschläuchen, Blinksternen, leuchtenden Rentieren und Außenwandprojektoren. Renate Heinrich erinnert an einen alten Weihnachtsschmuck, den jeder leicht selber basteln kann: das Paradeiserl. „Man braucht vier Äpfel, Schaschlikspieße, Tannengrün und eine Kerze: Drei Äpfel im Dreieck mit den Spießen verbinden, die mit Grün umwickelt sind. Drei weitere Spieße werden pyramidenförmig in die Äpfel gesteckt und auf die Spitze wird der vierte Apfel gesteckt, auf dem eine Kerze aufgesetzt wird: Das Paradeiserl war hier der Vorgänger des Adventskranzes, der sich von Norden aus in Deutschland verbreitete. Er ist zwar stimmungsvoll, aber eben nicht traditionell bayerisch.“

Auch der Christbaum hat noch keine lange „Geschichte“, aber die Kreisheimatpflegerin kennt zwei nette Anekdoten aus den 1920/30er Jahren: „Bei der Frau Ökonomierat, bei der meine Urgroßmutter als Haushälterin angestellt war, konnte man den prächtigen Christbaum schon damals von allen Seiten bewundern, weil er in einem drehbaren, musikspielenden Christbaumständer befestigt war.“ Wesentlich bescheidener ging es in der Nachbarschaft der Urgroßmutter von Renate Heinrich zu: „Da hatte die Frau eine kleine Fichte besorgt, um den Kindern eine Freude zu machen. Das dünne Bäumchen wurde zum Stehen in der Esstisch-Schublade eingezwickt. Allerdings ärgerte sich der Familienvater über diese Geldverschwendung und warf das Bäumchen aus dem Fenster.“

Von wegen Schlemmen: Heiligabend ist Fastentag

Auch kulinarisch wurde Weihnachten immer exorbitanter und exotischer: Würstl mit Kraut oder Kartoffelsalat wurden abgelöst durch immer neue, raffiniertere Gerichte. „Was die Leute scheinbar total vergessen haben: Heiligabend ist eigentlich Fastentag“, schmunzelt Renate Heinrich: „Erst nach Mitternacht gab es die äußerst gehaltvolle Mettensuppe, zu der man altbackenes Brot, aufgeschmalzte Zwiebeln und Leberwurst verarbeitete.“ Auch die traditionsbewusste Kreisheimatpflegerin war offen für neues: „Der Hit in den Siebzigern war ein Kochbuch von Vico Torriani. Da bereiteten wir dann Brathendl mit gebratenem Obst zum Fest“, lacht sie. Renate Heinrich kann nur bestätigen: „Ich habe das Weihnachtsfest in meinem Leben auf ganz verschiedene Weise erfahren: Nach dem Krieg bis in die fünfziger Jahre sehnte man sich vor allem nach Geborgenheit in der Familie. Mit steigendem Wohlstand stieg auch der Konsum. So wollte meine Mutter Ende der 60er nicht mehr mit zur Metten gehen, weil die Damen der Gesellschaft dort ihre neuen Pelzmäntel ausführten.“

Dem Konsumrausch heute hält sie eine Episode aus ihren Zeitzeugen-Gesprächen entgegen, die sie besonders berührt hat: „Während der NS-Zeit wurde ein Neuöttinger wegen seiner KPD-Mitgliedschaft ins KZ gesteckt. Das einzige Weihnachtsgeschenk für seine fünf Kinder war ein Glas Honig ...“ Und auch sonst haben sich die Weihnachtswünsche der Zeitzeugen einst nur selten erfüllt. „Aber das Schöne ist: Einst wie jetzt sind die Menschen im Advent empfänglich für den berühmten Geist der Weihnacht ...“

Altötting