Alter Brauch: Weisertgehen
Kleiner Neuöttinger wurde traditionell bayerisch begrüßt

02.10.2018 | Stand 02.08.2023, 22:36 Uhr
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Die Geburt von Cody freut Vermieter Gerhard Aicher so, dass er einen alten Brauch aufleben ließ

NEUÖTTING. Das hat es in Neuötting und wohl auch in vielen anderen Landkreis-Gemeinden schon lange nicht mehr gegeben - da ist sich der Neuöttinger Gerhard Aicher sicher. Er ist der Vermieter einer jungen Frau, die kürzlich ihr erstes Kind entbunden hat. Und darüber hat sich Vermieter Aicher so sehr gefreut, dass er sich etwas Besonderes ausgedacht hat, um den kleinen „Neu-Bayern“ auch auf zünftig-bayerische Art zu begrüßen.

Aichers Bekannte Anneliese Kristen hatte ihm von einem alten Brauch zur Geburt des ersten Stammhalters erzählt: Das „Weisert gehen“ hat im süddeutschen Raum eine lange Tradition und wird hauptsächlich in einigen Orten im Chiemgau noch praktiziert. „Weisert - oder auch Weisat - wurde vermutlich von dem althochdeutschen Wort ,wisod‘ hergeleitet, was ,Geschenk‘ bedeutet“, erzählt Anneliese Kristen. Neben diversen Gebrauchsdingen für das Neugeborene, die an einer Wäscheleine auf einem mit Zweigen und Schleifen geschmückten Wagen aufgehängt werden, wird auch ein sogenannter Weisertwecken platziert.

„Dieser wird aus Weißbrotteig hergestellt und zu einem Zopf geflochten. Ursprünglich konnte so ein Wecken beachtlich lang werden: Pro Pfund Geburtsgewicht einen Meter! Grundgedanke war es, der jungen Mutter etwas zur Stärkung zu schenken, damit sie wieder zu Kräften kommt“, weiß die Mühldorferin.

Mit Begleitung eines Musikers wurde der Wagen von Freunden, Vereinskameraden, Kollegen oder Nachbarn schließlich zum Elternhaus des Neugeborenen gefahren wo der Weisertwecken ins Haus gebracht werden muss, damit dort das Brot nie ausgehen möge und der junge Erdenbürger Gottes Segen hat. „Früher wurde bei dieser Gelegenheit sogar kontrolliert, ob es sich wirklich um einen Buam handelt“, schmunzelt Anneliese Kristen.

So weit ist man beim „Weisert gehen“ für den kleinen Cody natürlich nicht gegangen. Und auch sonst musste Gerhard Aicher ein paar Kompromisse eingehen: Statt einem Pferdewagen hat er ein Leiterwagerl geschmückt und mit Babyutensilien bestückt. Und auch der Weisertwecken auf dem Wagerl war eher symbolisch in Form eines ganz normalen Weißbrotes – in ganz normaler Länge.

Bemerkenswert: Vermieter mit einem Herz für Kinder

Ganz der alten Tradition entsprechend hingegen hat Aicher mit Walter Karpfinger aus Zeilarn einen versierten Ziachspieler engagiert, der für gebührende Aufmerksamkeit beim Marsch zur Neuöttinger Stadtpfarrkirche sorgte.

Bei einem zünftigen Weißwurst-Frühstück feierte das Trio sein gelungenes Weisertgehen: „Gekannt habe ich den Brauch ja schon lange, aber nun freue ich mich, selber mal dabei gewesen zu sein“, strahlt Anneliese Kristen.

Dass Gerhard Aicher diesen schönen alten Brauch in Erinnerung gerufen hat, ist zweifellos eine schöne Geschichte. „Ich mag halt einfach die Menschen“, lautet seine schlichte Begründung. Dass sich ein Vermieter über die Geburt eines Kindes derart freut, ist in jedem Falle bemerkenswert ...

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