Nach Benedikts Aufsatz
Streit um sexuellen Missbrauch in der Kirche geht weiter

28.04.2019 | Stand 13.09.2023, 3:15 Uhr
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Nachdem Papst Benedikt XVI. der sexuellen Befreiung der 68er die Schuld für Missbrauch in der Kirche gab, äußert ein Wissenschaftler das glatte Gegenteil: Der Kriminologe Christian Pfeiffer erhebt schwere Vorwürfe, auch gegen den Generalvikar des Bistums Regensburg.

REGENSBURG/HAMBURG Er sollte im Auftrag des Verbands der Deutschen Diözesen einen Bericht über sexuellen Missbrauch schreiben, aufarbeiten, was viele Jahre hinweg hinter hohen Kirchenmauern verborgen blieb: Christian Pfeiffer, bis vor Kurzem Leiter des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen, eine Koryphäe auf seinem Gebiet, Ex-Justizminister für die SPD in Niedersachsen. Doch dazu kam es nicht: Am 20. Dezember 2012 gab die Deutsche Bischofskonferenz bekannt, dass man sich von Pfeiffer und seinem Institut trennte. Warum, das machte der Kriminologe jetzt in der Wochenzeitung Die Zeit deutlich. Darin schilderte der Kriminologe seine Sicht auf die Dinge.

Und Pfeiffer erhebt schwere Vorwürfe auch gegen zwei hohe regionale Kirchenvertreter. Wörtlich sagte Pfeiffer: „Im November 2011 verlangten zwei wichtige Mitglieder des kirchendominierten Beirats, die Generalvikare Peter Beer von der Erzdiözese München und Freising und Michael Fuchs vom Bistum Regensburg, der Beirat müsse nachträglich Entscheidungsgewalt über nahezu alle Fragen der Projektgestaltung erhalten“, so Pfeiffer. „Er beanspruchte damit die finale Kontrolle der Forschung durch die Kirche.“ Als er sich weigerte, schieden sowohl Beer, als auch Fuchs nach Pfeiffers Darstellung aus dem Gremium aus. Wie Pfeiffer schilderte, hatte er den Eindruck, dass die Generalvikare im Auftrag ihrer Bischöfe handelten.

Das Thema Missbrauch in der Kirche wird derzeit nach wie vor diskutiert, doch auch innerhalb der Kirche gibt es nun eine Kontroverse. Selten äußert sich der emeritierte Papst Benedikt noch öffentlich. Doch jetzt hat er etwas getan, das in Deutschland für Entsetzen sorgen dürfte: Er macht für den Missbrauch-Skandal in der Kirche die 68er-Bewegung verantwortlich. So schreibt der emeritierte Papst über die Zeit damals: „Für die jungen Leute in der Kirche, aber nicht nur für sie, war dies in vielerlei Hinsicht eine sehr schwierige Zeit“, so Papst Benedikt. Benedikt beschreibt ganz persönlich, wie er die sexuelle Revolution empfunden hat. „Ich kann mich noch erinnern, als ich durch die Stadt Regensburg lief, wie eine Menge von Menschen sich vor einem großen Kino versammelte. Das war etwas, das wir nur aus der Kriegszeit kannten, wenn man besondere Güter zu erwarten hatte.“ Er sei einmal 1970 am Karfreitag durch Regensburg gelaufen und habe dabei Werbetafeln „mit zwei komplett nackten Personen gesehen, die sich umarmten.“

Laut Pfeiffer war es genau die gegenteilige These, die dazu führte, dass er sich mit dem Bistum Regensburg überwarf. Vor den Generalvikaren will Pfeiffer 2011 einen Vortrag gehalten haben, in dem er aus einer amerikanischen Studie des John Jay Colleges zitierte. „Danach waren in der Phase des stärksten Missbrauchs nur fünf Prozent der priesterlichen Täter echte Pädophile“, sagte Pfeiffer. „Alle anderen hatten andere sexuelle Zielprojekte, nämlich Männer oder Frauen, an die sie im extrem prüden Amerika damals nicht herankamen – und sich ersatzweise an Kindern vergingen.“ In den 70er Jahren seien die Zahlen der Missbräuche dagegen zurückgegangen, so Pfeiffer. „Der Zeitgeist hatte sich gedreht. Die amerikanische Sexualmoral wurde immer lockerer, Priester hatten es leichter, Frauen zu erreichen. Homosexualität war vielerorts nicht mehr strafbar, und schwule Priester konnten einfach in spezielle Kneipen gehen, um Sexualpartner zu finden.“

Völlig anders als Benedikt sieht Pfeiffer die Ursache des Missbrauchs an Kindern also im Zölibat und der Unterdrückung von – nicht strafbarer – Sexualität.

Übrigens hatte die Deutsche Bischofskonferenz nach der Beendigung der Zusammenarbeit mit Pfeiffers Institut ein Konsortium unterschiedlicher Wissenschaftler und Institute beauftragt. Auch darin wird das Thema Zölibat und Homosexualität diskutiert. „Das komplexe Zusammenspiel von sexueller Unreife, abgewehrten und verleugneten sowie zum Zeitpunkt der Berufswahl möglicherweise latenten homosexuellen Neigungen in einer ambivalenten, teilweise auch offen homophoben Umgebung könnte also eine weitere Erklärung für das Überwiegen männlicher Betroffener beim sexuellen Missbrauch durch katholische Kleriker bieten“, schrieben die Verfasser im September 2018.

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