Die Kleinsten der Kleinen gut versorgt
Viel zu früh geboren – das Wunder des Lebens ist oft winzig klein

10.08.2019 | Stand 13.09.2023, 0:16 Uhr
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Der Geburt des Kindes fiebern werdende Eltern mit großer Spannung entgegen. 280 Tage, also 40 Wochen, dauert es, bis das Kind sich den Weg ins Leben bahnt – so zumindest der Idealfall. In Weiden kam am 24. November 2018 der kleine Michael zur Welt, „280 Gramm schwer, so groß wie eine Handfläche“, meldeten die Kliniken Nordoberpfalz. Viel zu früh kam das Kind auf die Welt – heute ist es gesund und durfte die Klinik mittlerweile verlassen.

REGENSBURG In Regensburg gibt es die Klinik St. Hedwig, die sich um die Kleinsten der Kleinen kümmert. Der ehemalige Klinikdirektor Professor Dr. Hugo Segerer berichtet, dass das kleinste Kind, das in der Regensburger Klinik überlebt hat, im Juli 2008 auf die Welt gekommen ist: Laurenz wog damals 370 Gramm und war 26 Zentimeter klein.

Die Grenze nach unten hat sich hier mittlerweile verschoben. Vor 25 Jahren ging man davon aus, dass Kinder ab der vollendeten 26. Schwangerschaftswoche eine „realistische Überlebenschance ohne schwerwiegende Schäden“ haben. Vor 20 Jahren sah man diese Grenze bei 24, vor zehn Jahren bei circa 23 Wochen. Wichtig sei hier der Konsens mit den Eltern so, Segerer, es sei „nicht egal, wie es ausgeht“, hier werden viele ethische Diskussionen geführt. Es sei immer eine „individuelle Entscheidung mit den Eltern zusammen“. Mittlerweile werden auch schon Kinder bei einer Geburt nach 22 Wochen intensivmedizinisch behandelt, „da gehen aber nicht alle mit“. „Nicht um jeden Preis“, sagt Segerer, wolle man Kinder am Leben erhalten.

Die Versorgung der Frühchen findet in so genannten Perinatalzentren statt. Die Hedwigs-Klinik ist dabei das größte dieser Zentren in Bayern. „Im Gegensatz zu reinen Geburtskliniken verfügt ein Perinatalzentrum zusätzlich über alle Voraussetzungen, um Risikoschwangerschaften, kranke Neugeborene und unreife Frühgeborene bestmöglich medizinisch zu versorgen“, heißt es dazu auf der Homepage der Klinik. Besonders wichtig ist Teamwork, sagt Professor Segerer. Gerade die Schwestern seien immer nah am Kind, jede kleinste Veränderung werde von ihnen registriert und an das Ärzteteam weitergegeben. Nach der dreijährigen Ausbildung muss eine Pflegekraft mindestens sechs Monate Berufserfahrung außerhalb der Neugeborenenstation gesammelt haben, erst dann wird sie auf der Intensivstation bei den Frühchen eingesetzt. Weitere sechs Monate dienen als Einarbeitungszeit. „Erst dann zeigt sich, ob jemand der Aufgabe gewachsen ist“, sagt Segerer. Auch die Ärzte setzen auf einen hohen Wissensstandard. Die Weiterbildung in der Neonatologie, also der Neugeborenenmedizin, die alle Oberärzte in St. Hedwig durchlaufen haben, dauert drei Jahre und vermittelt das nötige Fachwissen für die Betreuung der Kleinsten.

Wichtiger Bestandteil der Betreuung sind die Eltern. Diese werden in alle Entscheidungen mit einbezogen. Sie werden aufgefordert, möglichst viel Zeit bei ihrem Kind zu verbringen und sich an den Pflegemaßnahmen zu beteiligen. Heute weiß man auch, dass jedes Neugeborene individuell ist. So versucht man, die Kinder so wenig wie möglich zu stören und sich an die Bedürfnisse jedes einzelnen Kindes anzupassen.

Im Laufe der Jahrzehnte ist es zudem gelungen, die Risiken für die Kinder, bleibende Schäden zurückzubehalten oder gar zu sterben, so gering wie möglich zu halten. Gerade in Deutschland sei man hier führend, die Hedwigs-Klinik liege hier meist noch über dem landes- und bundesweiten Durchschnitt. 2016 kamen in St. Hedwig 93 Kinder unter 1.500 Gramm zur Welt, 88 überlebten. 2017 waren es 111 Kinder, 110 überlebten. Im vergangenen Jahr kamen 85 Kinder unter 1.500 Gramm auf die Welt, 83 schafften den Start ins Leben.

Zu diesen guten Statistiken hat auch die immer bessere Versorgung der schwangeren Frauen beigetragen. Die niedergelassenen Ärzte leisten hier laut Segerer wertvolle Arbeit, um Risiken früh zu erkennen. So könne man oft schon sehr früh erkennen, ob eine Neigung zu einer Frühgeburt vorliegt. Man könne Eltern auf die Situation vorbereiten und alle Maßnahmen ergreifen, um dem Kind einen guten Start ins Leben zu ermöglichen.

Professor Dr. Hugo Segerer freut sich mit den Kollegen aus Weiden: „Da kann ich nur gratulieren“, sagt er. Michaels Mama Regina und Papa Thomas haben ihren kleinen Kämpfer ins Herz geschlossen. „Wir haben uns unglaublich toll aufgehoben gefühlt und sind mit dem Personal zusammengewachsen. Man unterhält sich auch über kleine Nebensächlichkeiten, das lenkt ab und war auch für uns enorm wichtig“, sagen beide über die Zeit in der Klinik. Mit mehr als 2.500 Gramm und einer Größe von 42 Zentimetern konnte Michael nach knapp sechs Monaten in der Weidener Klinik entlassen werden – sein Bruder Korbinian hatte ihn schon sehnsüchtig erwartet.

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