EDV-Frühwarnsystem startet
Postoperative Nierenerkrankungen sind eine unterschätzte Gefahr

30.04.2019 | Stand 28.07.2023, 16:36 Uhr
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Postoperative Nierenerkrankungen stellen ein nicht unerhebliches Risiko für Patienten dar. Um eben diesen potentiellen Komplikationen Herr zu werden, startet am Universitätsklinikum Regensburg (UKR) zum 1. Mai ein innovatives und interdisziplinäres, am UKR entwickeltes, EDV-Frühwarnsystem.

REGENSBURG Trotz sorgfältigster Vorbereitung besteht bei Operationen immer ein gewisses Restrisiko für Komplikationen, wobei, nicht jeder Eingriff gleich schwerwiegend für den Körper ist. Aber gerade nach langen und anspruchsvollen OPs können Nierenprobleme auftreten. Neben Herzinfarkten, Lungenentzündungen, Blutungen und Infektionen der Operationswunden gehört eine Verschlechterung der Nierenfunktion zu den häufigsten postoperativen Komplikationen. Das betrifft besonders Patienten mit einer schon vorbestehenden Nierenerkrankung, Diabetiker, Patienten mit Bluthochdruck oder ältere Menschen. „Postoperative Nierenerkrankungen können in bis zu 39 Prozent nach Operationen auftreten. Das ist ein weltweit erkanntes Problem“, erklärt Dr. Ivan Göcze, leitender Oberarzt der operativen Intensivstation am UKR. „Gerade nach Bauch- oder Gefäß-Operationen oder nach Eingriffen, welche länger als vier Stunden dauern, kann es zu Nierenproblemen kommen.“ Faktoren wie die Verabreichung von Kontrastmitteln zur Bildgebung während der OP, ein hoher Blutverlust und schwankende Blutdruckwerte können sich negativ auf die Nierenfunktion auswirken. Zwar lässt sich eine Schädigung der Niere nicht komplett ausschließen, aber die Schwere der Folgen kann reduziert werden. Ein elektronisches (EDV)-gestütztes, Programm zur Datenverarbeitung soll nun bei der Früherkennung mittels Biomarkern (Stress-Proteine in Urin) helfen und die Behandlung anleiten.

Mit Hilfe des Programms „Schütze die Niere – Prävention ist Therapie“ können die Mediziner frühzeitig eine drohende Schädigung erkennen und patientenindividuell darauf reagieren. Prävention, Früherkennung und konsequente Behandlung sind in diesem Zusammenhang das A und O. „Diese Strategien beinhalten innovative Aspekte der heutigen Patientenversorgung wie personalisierte Medizin, Unterstützung durch automatisierte Computersysteme, Spezialisierung und Interdisziplinarität“, so Professor Dr. Hans J. Schlitt, Direktor der Klinik und Poliklinik für Chirurgie des UKR.

Entwickelt wurde das Programm „Schütze die Niere“ am UKR und ist in seiner gesamten Komplexität einzigartig. Andere Kliniken nutzen zwar ebenfalls EDV-Alarme oder benutzen Biomarker, aber in Kombination wird es außer am UKR nicht verwendet. „In dieser Kombination sind wir am UKR absolute Vorreiter“, so Professor Schlitt weiter. „Schütze die Niere“ basiert auf drei Säulen: Punkt eins ist die Früherkennung von Hochrisiko-Patienten durch ein automatisiertes, elektronisches EDV-Frühwarnsystem. „Das EDV-System gleicht im 24-Stunden-Rhythmus die Patientendaten ab und macht die behandelnden Ärzte automatisch auf etwaige Veränderungen aufmerksam“, sagt Dr. Göcze. Der Computer scannt zu diesem Zweck sämtliche Laborwerte für die gesamte Zeit des stationären Aufenthalts der Patienten und alarmiert im Notfall das medizinische Personal, um frühzeitig reagieren zu können. „Unsere oberste Priorität ist es, eine dauerhafte Schädigung der Nieren vom Patienten abzuwenden oder im besten Fall die Funktionalität der Niere wiederherzustellen“, ergänzt PD Dr. Tobias Bergler, leitender Oberarzt in der Abteilung für Nephrologie des UKR. Bislang wurden nach der OP die Laborwerte durch das behandelnde Personal kontrolliert und die Therapie eingeleitet, mit EDV-Unterstützung können die Werte nun genauer verglichen werden. Das verringert natürlich auch die Zeit, bis geeignete Therapiemaßnahmen eingeleitet werden können. Denn es gilt: „Hat eine Niere erst einmal einen Schaden davongetragen, ist das wie eine Narbe. Das Organ ist nicht mehr so belastbar, funktioniert aber weiter“, erläutert Dr. Göcze. Dennoch sei eine geschwächte Niere ein Risikofaktor, der sich in den folgenden Jahren auf die Gesundheit auswirken könne. Patienten könnten im weiteren Verlauf sogar auf eine Dialyse angewiesen sein.

Interdisziplinäres Projekt mit Innovationskraft

Eben darauf zielt auch die zweite Säule der Initiative „Schütze die Niere“ ab. So Dr. Bergler weiter: „Wir setzen beim Patienten neben traditionellen Parametern Biomarkerdiagnostik ein, mit deren Hilfe wir die Funktion der Niere in Echtzeit evaluieren können und gegebenenfalls auf eine Verschlechterung oder auch auf eine Verbesserung reagieren können.“ Biomarker triggern im EDV-System hinterlegte Behandlungskonzepte und führen zu einer für den Patienten individuellen Behandlungsempfehlung. Eine Art Schritt-für-Schritt-Notfallkarte für Ärzte.

Die letzte Säule des Programms befasst sich mit der nephrologischen Nachsorge bzw. Nachbehandlung von Patienten, bei denen eine akute Nierenschädigung eingetreten war. Um eventuelle Langzeitfolgen zu minimieren, bleiben die Betroffenen bis zu einem Jahr in diesem fachspezifischen Nachsorgeprogramm. Auch das ist ein Novum, denn bisher hat die Nachsorge in den meisten Fällen der Hausarzt und kein Nephrologe übernommen. „Dieses Konzept ist deutschlandweit einzigartig und zeichnet sich auch international durch seinen innovativen Ansatz und die Interdisziplinarität aus“, so Dr. Bergler. „Chirurgen, Nephrologen, Anästhesisten, Labormitarbeiter und ein EDV-Team arbeiten so am UKR an einem absolut zukunftsträchtigen Innovationsprojekt“, ergänzt Dr. Göcze. „Schütze die Niere – Prävention ist die Therapie“ ist das Ergebnis von etwa fünf Jahren Entwicklungs- und Forschungsarbeit am UKR, die nun umgesetzt wird.

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