Kinder-und Jugendpsychologie
Fachtagung sucht Hilfen für Kinder mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung

19.03.2018 | Stand 24.07.2023, 19:33 Uhr
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Wege aus der Hilflosigkeit in Familien, Einrichtungen und Schulen mit Kinder und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen rückten beim Fachtag in Schloss Spindlhof in den Mittelpunkt.

REGENSBURG Die besonderen Herausforderungen, denen sich Eltern, aber auch Fachkräfte in Schulen und anderen Einrichtungen und Diensten stellen müssen, thematisierte der Fachtag „Im Blick: Junge Menschen mit geistiger Behinderung und psychischer Erkrankung“, zu dem die Katholische Jugendfürsorge (KJF) gemeinsam mit den Kooperationspartnern Lebenshilfe Neumarkt und medbo einlud.

Je früher, desto besser …

Im vergangenen Jahr unterstützte der Bezirk Oberpfalz Maßnahmen und Hilfen für knapp 800 Kinder und Jugendliche mit über 14 Millionen Euro. Wie Bezirkstagspräsident Franz Löffler erläuterte, ist der Bezirk als Träger der Eingliederungshilfe für alle Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung zuständig. Einen weiteren Aufgabenbereich übernimmt der Bezirk als Träger der medizinischen Einrichtungen des Bezirks (medbo) mit der psychiatrischen Versorgung von Menschen mit psychischer Erkrankung. „Je früher die Behandlung einsetzt, desto besser die Chance auf Heilung oder Linderung“, betonte Löffler, da durch eine frühzeitige Therapie einer Chronifizierung vorgebaut werden könne.

Bedarfsgerechter Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie in Weiden

Im Sinne einer sektorenübergreifenden Versorgung ist eine gute Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Angeboten unverzichtbar. „Das Konsil in Einrichtungen (Förderzentren) durch niedergelassene Fachärzte oder die Institutsambulanzen der Klinik für Kinder – und Jugendpsychiatrie (KJP) oder die enge Zusammenarbeit von KJP mit dem Sozialpädiatrischen Zentrum St. Martin der KJF“ führte Löffler als Beispiele an. Eine Besserung der Situation der betroffenen Familien in der Nordoberpfalz strebt er durch den Ausbau der Kinder- und Jugendpsychiatrie mit 32 Betten in Weiden an.

Mehr Unterstützung für Eltern und Einrichtungen erforderlich

Mit Blick auf die gegenwärtige Situation der betroffenen Familien und Institutionen betonte Michael Eibl, Direktor der Katholischen Jugendfürsorge in Regensburg: „In vielen Gesprächen mit Eltern und Fachleuten der Behindertenhilfe bekommen wir bei der Frage nach besonders drängenden Themen oft die Antwort, dass immer mehr Kinder und Jugendliche selbst- und fremdgefährdende Verhaltensweisen zeigen, die eine Förderung in einer Klasse oder Gruppe sehr schwierig machen. Nicht selten handelt es sich dabei um Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und zusätzlicher psychischer Erkrankung oder Störung. Mit unserer Fachtagung wollen wir Möglichkeiten der Unterstützung für Familien und Fördereinrichtungen diskutieren.“

Nach einer Einführung in das Thema durch den kommissarischen Ärztlichen Direktor der KJP, Dr. Christian Rexroth, beleuchteten Dr. Wolfgang Dworschak von der LMU München die momentane Situation an den Förderschulen und Prof. Dr. Klaus Sarimski Möglichkeiten der Unterstützung der Eltern, während Dr. Barbara Senckel an Hand eines Beispiels die Psychotherapiemethode „Entwicklungsfreundliche Beziehung“ für betroffene Kinder vorstellte.

„Es geht immer um die ganze Familie.“

Am liebsten ist es Paul (Name geändert), wenn alles seine Ordnung hat, Schubläden geschlossen sind, Bilder gerade hängen. Zahlen sind seine Leidenschaft. Er war, so sagt sein Vater „ein ganz normaler Autist mit seinen Stereotypien und Ticks.“ Das ändert sich schlagartig, als Paul in eine schwere Krise gerät. „Er wurde ein völlig anderer Mensch“, schildert sein Vater. Die Familie findet nicht die Hilfe, die sie sich wünscht, fühlt sich allein und völlig überfordert. Paul ist kein Einzelfall. Von den rund 1900 Kindern und Jugendlichen mit geistiger Behinderung in der Oberpfalz sind etwa 500 bis 800 zusätzlich von einer psychischen Erkrankung betroffen.

Experten wissen, dass sich bei manchen dieser Kinder das Verhalten insbesondere in der Pubertät nochmals deutlich ändern kann, so dass die Familien und Einrichtungen manchmal an ihre Grenzen stoßen. Insofern ist die frühzeitige Aufklärung und weiterführende Unterstützung der Eltern und das ihr Kind betreuende Fachpersonal von entscheidender Bedeutung. Schließlich kann so eine krisenhafte Zuspitzung zum Wohl des Kindes in der Regel verhindert werden. Entsprechend der Hilfeplanung in der Jugendhilfe sollte auch hier frühzeitig eine ambulante kinder- und jugendpsychiatrische Diagnostik und – gemäß dem Grundsatz: ambulant vor stationär – ggf. auch eine ambulante Behandlung angestoßen werden.

Im Notfall wie auch bei einer entsprechenden fachärztlichen Indikation steht die KJP auch mit stationärer Unterstützung zur Seite. Wenn eine stationäre Heimunterbringung erforderlich werden sollte, wäre im Sinne der Kinder und Familien eine geregelte Überleitung jenseits des Notfalls wünschenswert. Auch die Eltern des dreizehn-jährigen Tim (Name geändert) durchleben eine schwere Krise, als sein Verhalten für ihn und sein Umfeld hochproblematisch wurde. Beide Elternpaare waren beim Fachtag eingeladen, um gemeinsam mit Vertretern des Bezirks, der Regierung, der Kinder- und Jugendpsychiatrie, der Jugendämter und der Förderzentren zu diskutieren.

Die Situation der Eltern kam eindrücklich bei den Tagungsteilnehmern an. Dr. Christian Rexroth würdigte explizit die Eltern und deren Leistungen. „Ihre Verzweiflung und große Hilflosigkeit haben wir deutlich gespürt. Ich möchte Ihnen für Ihre Offenheit danken. Weil wir wissen, dass sich die Versorgung für Kinder und Jugendliche mit geistiger Behinderung und begleitenden psychischen Störungen verbessern kann, haben wir bereits 2016 ein Fachgespräch geführt, einen kinder- und jugendpsychiatrischen Abend veranstaltet und gemeinsam diesen Fachtag organisiert.“

Auf- und Ausbau professioneller Unterstützungsstruktur

Auf einem abschließenden Podium diskutieren, moderiert von Direktor Eibl, Vertreter der Jugendämter, des Bezirks, der Regierung, der KJP, der Förderzentren und der Eltern über mögliche Verbesserungen und Veränderungen, um den Kindern und deren Familien noch besser gerecht zu werden. Die Ideen reichen von Elterntrainings, aufsuchenden heilpädagogischen Hilfen in den Familien, über Einführung des Klassleiterprinzips und Jugendsozialarbeit (JaS) an Förderschulen bis zu Fortbildungen von Lehrkräften, Schulbegleitern, Betreuern, Therapeuten und Ärzten.

Einigkeit bestand in dem Grundsatz, zur guten Versorgung der Kinder und Jugendlichen mit geistiger Behinderung und psychischen Erkrankungen und ihrer Familien in der Region interdisziplinäre Konzepte zu entwickeln. Diese Tagung war ein weiterer wichtiger Schritt auf dem gemeinsamen Weg.

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