Reise ins Heilige Land
Domspatzen-Selfies sind bei den Mädchen in Nazareth der Hit!

14.09.2018 | Stand 13.09.2023, 3:08 Uhr
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Die Domspatzen bereisten das Heilige Land – es ist die letzte große Konzertreise des Domkapellmeisters. Dabei begeben sich die Sängerknaben nicht nur auf die Spuren der eigenen, nicht immer rühmlichen Geschichte, sondern sie begegnen auch einer komplizierten Gegenwart.

REGENSBURG/JERUSALEM Draußen vor der Verkündigungskirche von Nazareth ruft der Muezzin zum Gebet. Drinnen schmettern die Domspatzen Lieder, die sie sonst im Advent singen. Marienlieder, denn hier soll der Engel Gabriel Maria das Kind verkündet haben. Als die Domspatzen das „Ave Maria“ von Anton Bruckner anstimmen, geschieht etwas Eindrückliches: Einige Pilger, die jene Reise ins Heilige Land begleiten, haben Tränen in den Augen. Und selbst bei den sonst so „toughen“ Jungs sieht man die ein oder andere Träne über die Wangen kullern. Das Jerusalem-Syndrom, das Gläubige im Angesicht der heiligen Stätten tranceartige Zustände beschert, ist es nicht: Es ist die wundersame Schönheit der Musik, die das erreicht, was der Bischof mit all seinen Mühen für eine charismatische Predigt nicht schafft. Es ist ein Gänsehaut-Moment, wenn die Gesänge der Domspatzen die Verkündigungsbasilika von Nazareth erfüllen. Und es ist der große Auftritt von Roland Büchner, dem Domkapellmeister, der dem Chor der Domspatzen auch in den letzten Jahren die Weltklasse bewahrte.

Die Reise ins Heilige Land ist seine letzte große Reise, die Büchner mit den Domspatzen antritt, es ist auch ein Höhepunkt seiner Karriere – und für die Domspatzen. Auch wenn es der Chor und die Schule in den vergangenen Jahren angesichts der Skandale und der Stimmung gegen kirchliche Einrichtungen nicht leicht hatten: Büchner lebt Musik. Und das gibt er an die Chorknaben weiter.

Wer mit Roland Büchner spricht, merkt, dass Musik sein Leben prägt. „Für mich war es schon immer ein Herzenswunsch, die Musik, die von den Domspatzen etwa in der Karwoche aufgeführt wird, an den Originalschauplätzen zu singen.“ Diese Woche im Heiligen Land ist für Büchner nicht nur die Erfüllung eines lang gehegten Traumes, sondern auch der Höhepunkt einer beeindruckenden Karriere. Stiftskapellmeister in Altötting war seine erste Station. „Mein Vorgänger dort hatte den Stiftschor mit wenig Geld aufgebaut und 43 Jahre lang geführt“, erinnert er sich. „Das war nicht einfach, da als Jungspund zu stehen und zu sagen: So wird das jetzt gemacht.“

So geht es Büchner auch, als er Georg Ratzinger nachfolgt als Domkapellmeister. Ratzinger leitete die Domspatzen seit den 60er -Jahren, sein Bruder war Erzbischof in München und ist später Glaubenspräfekt geworden. „Große Schuhe waren das“, sagt Büchner. Doch sein Geheimnis scheint zu sein, dass ihm der Jungspund der Anfangsjahre in Altötting noch aus den wachen blauen Augen leuchtet.

Es gab auch dunkle Jahre für ihn. Der Missbrauchsskandal, der ab 2010 laut wurde, führte den Chor an den Rand der Existenz. „Das Bistum hatte das alles an sich gezogen“, erinnert sich Büchner. Doch es gelingt dem damaligen Bischof Gerhard Müller nicht, das zu tun, was notwendig ist: von der Kanzel herabzusteigen und sich auf Augenhöhe hundertfaches Leid anzuhören. Erst Bischof Rudolf gelingt das – Büchner ist ihm dafür ewig dankbar.

Glückliche Momente in 24 Jahren als Domkapellmeister? „Die Konzerte in der Sixtinischen Kapelle“, sagt der Domkapellmeister. Mozarts C-Moll-Messe ist ein Werk, das hörbar das Weltgericht erlebbar macht. „Da habe auch ich aufgeblickt und sehe es: in dem Fresko in der Sixtina. Eine Instrumentalistin war so ergriffen, sie legte ihre Geige auf den Stuhl und lief weinend aus dem Raum.“

In Bethlehem ist auch am 8. September Weihnachten

Doch Tränen vor Glück und der Schönheit der Musik, die „laufen auch mal in einer Gemeindehalle in Cham“. Dreimal haben die Domspatzen unter Büchner versucht, eine Reise ins Heilige Land anzutreten. Doch die politische Situation hat es immer wieder verhindert. Jetzt herrscht Krieg in Syrien. Als die Domspatzen in Qunetra auf einem Hochplateau stehen, ist Damaskus knapp 30 Kilometer entfernt. Ein kleiner Trupp israelischer Soldaten macht gerade Pause, zwei Domspatzen nutzen die Gelegenheit und machen mit den rauchenden Soldaten Selfies. Jeder Israeli, der Jude ist, muss zum Wehrdienst, auch die Frauen. Arabischstämmige Israelis müssen nicht, viele tun es trotzdem. 1,2 Millionen Israelis sind Araber, sie haben einen israelischen Pass, können wählen und gewählt werden, werden Richter und Rechtsanwälte. Die Konflikte mit jenen sind gering, das, was wir als Nahost-Konflikt in Israel kennen, betrifft die Palästinenser ohne israelischen Pass. Ibrahim Salameh, der die größeren Domspatzen durch das Heilige Land führt, ist ein solcher. Er möchte einen eigenen Staat.

Als zwei Militärhubschrauber über den See Genezareth fliegen, sagt er leise: „Das ist komisch, so tief fliegen die nie.“ Der Krieg ist nur wenige Kilometer entfernt. Etwas, das die Domspatzen-Jungen nicht kennen. Dass man auch als Domspatz die Floskel „sich von jemandem ein Bild machen“ modern interpretieren kann, beweisen die Jungs aus Regensburg an der Schule der Salvatorianerinnen in Nazareth. Die Stadt, aus der Maria kam, wird heute von arabischstämmigen Israelis bewohnt, zu 80 Prozent Muslime und zu 20 Prozent Christen. An der Schule ist das Verhältnis andersrum, es ist eine Eliteschule: 95 Prozent schaffen das Abitur beim ersten Mal, in Israel liegt die Quote bei 60 Prozent. Die Rektorin Schwester Klara Berchtold ist gerührt: Der Bischof sitzt in der ersten Reihe, die Domspatzen singen und Schüler und Eltern haben sich schick gemacht. Als Schwester Klara sagt: „Nach dem Konzert gibt es eine Begegnung zwischen den Schülern im ersten Stock, aber von den Domspatzen gehen nur die Männer hoch“, bricht unter den weiblichen Schülern in Nazareth ein heiteres Gekicher aus. Dann beginnt eine wahre Selfie-Orgie: Die Jungs sind für die Mädchen dankbare Motive.

Einer der Höhepunkte der Reise: die Geburtskirche in Bethlehem. Die steht wohl tatsächlich dort, wo Jesus in einem Stall geboren wurde. Die Kirche ist alt, Weltkulturerbe – und es ist ein ziemliches Geschiebe, bis jeder sein Foto mit dem Stern hat, der viel geküsst an besagter Stelle am Boden wartet. Die Katharinenkirche nebenan ist das krasse Gegenteil: neugotisch, hoch, lichtdurchflutet. Der Bischof hält eine richtig gute Predigt darüber, dass alle Religionen einen überreichen Vater im Jenseits erwarten – Christen aber haben den Heiland arm in einer Krippe. Als die Domspatzen „Heilige Nacht“ anstimmen, ruft zwar wieder von draußen der Muezzin – diesmal aber sind es die mitgereisten Eltern, Omas und Opas, für die es schon Weihnachten am 8. September wird. Diesmal weinen sie.

Regensburg