Abgemahnt bis zur Not-OP
„Abmahn-Anwälte haben mich auf die Intensivstation gebracht“

01.08.2018 | Stand 31.07.2023, 4:36 Uhr
−Foto: n/a

Durch einen Formfehler auf seiner Homepage ist Ferhat Kalpaslan in die Abmahn-Falle geraten. Um zu zahlen, ging er ans Limit. Bis sein Körper die Reißleine zog und der Familienvater auf der Intensivstation erwachte.

WALDKRAIBURG Kleinere Unternehmen und Selbstständige, die im Internet Handel treiben, setzen sich einer großen Gefahr aus. Einer Gefahr, die das Geschäft zerstören und sogar den Ruin bedeuten kann. Die Gefahr heißt Abmahnung. Der Waldkraiburger Ferhat Kalpaslan kann ein Lied davon singen. Ihn hätten Abmahnungen fast das Leben gekostet.

Das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb erlaubt es Online-Händlern, Mitbewerber wegen Kleinigkeiten wie Formfehlern abzumahnen. Es kommt auf jedes Wort und jedes Komma an. Ein klitzekleiner Fehler im Widerrufsrecht? Ein abgekürzter Name im Impressum? Zack, Abmahnung!

Spezialisierte Anwälte und Abmahnverein haben daraus ein lukratives Geschäftsmodell gemacht. Statistiken zufolge hat 2017 jeder dritte Betreiber von kleinen Online-Shops eine Abmahnung bekommen. „Früher zahlten Unternehmer Schutzgeld. Heute läuft das halt so“, sagt Ferhat Kalpaslan zynisch.

Anfang 2015 hat der Waldkraiburger ein Nebengewerbe für den Handel mit Computer-Ersatzteilen angemeldet. Zu Beginn lief alles prächtig. Doch das Schicksal meinte es nicht gut mit ihm. Eines Tages kam Post von einer Berliner Anwaltskanzlei. Eine Abmahnung im Auftrag eines angeblichen Mitwerbers wegen eines Formfehlers im Widerrufsrecht. „Ich dachte, das sei ein Witz“, erzählt Ferhat, der erst einmal nicht reagierte.

Es war aber keiner. Immer mehr Schreiben gingen ein. Schließlich hat Ferhat Kalpaslan die Abmahnung akzeptiert und eine Unterlassungserklärung abgegeben. Dadurch willigte er ein, bei weiteren Form-Fehlern Strafzahlungen in Höhe von jeweils 5000 Euro zu leisten. Nicht lange, und die Anwälte entdeckten zwei weitere Formfehler. Seit dem geben sie keine Ruhe mehr.

Nur zwei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht

Um das Geld aufzutreiben, suchte sich Kalpaslan mehrere Nebenjobs in München. Security-Arbeit auf Konzerten, in Asylbewerberheimen und Diskotheken. Zeit für mehr als zwei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht blieb da nicht.

Ferhat ging ans Limit und darüber hinaus. Nach wenigen Monaten im Dauerstress zog sein Körper die Reißleine. Der Waldkraiburger brach zusammen. Krankenhaus. Innere Blutungen. Lebensgefahr. Intensivstation. Ein Schock für Ferhats Frau Derya und seine Tochter (8).

Danach war Ferhat acht Monate krank geschrieben. Seit einer Wiedereingliederung arbeitet der Prüfstandmechaniker wieder Vollzeit in der Firma im Landkreis Mühldorf, für die er seit fünf Jahren tätig ist.

Rund 25.000 Euro hat Ferhat Kalpaslan mittlerweile an die Berliner Anwaltskanzlei gezahlt. Immer wieder treffen neue Forderungen ein. Erst vor Kurzem schickte die Kanzlei eine Rechnung über mehr als 1.200 Euro. Ein Ende ist nicht in Sicht. Bei seiner Bank hat Ferhat in dem Zusammenhang schon 40.000 Euro Schulden angehäuft.

„Ich weiß nicht, wie es weiter gehen soll“, sagt der 30-Jährige, der sich zusammen mit der Familie auf die Geburt seines zweiten Kindes freut. Er ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Der Stress frisst ihn auf.

Große Hoffnungen setzt Kalpaslan in seinen neuen Anwalt Christian von der Hayden. Der Berliner Jurist engagiert sich für eine Änderung des Gesetzes gegen unlauteren Wettbewerb und vertritt unter anderem Vera Dietrich, die eine Pettition auf den Weg gebracht hat, die unseriösen Abmahnvereinen und Anwälten das Handwerk legen soll.

Zudem hat Kalpaslan die Unterstützung von Staatssekretär Stephan Mayer, der Ende Juni schriftlich an die Berliner Abmahn-Kanzlei appelliert hat, das Tempo und die Höhe der Forderungen zu drosseln.

Mühldorf a.Inn