„Das ist menschenunwürdig“
Prothesen-Zoff mit der Kasse – jetzt traut sich Hans-Jürgen (70) nicht mehr aus dem Haus

12.08.2020 | Stand 13.09.2023, 6:30 Uhr
−Foto: n/a

Hans-Jürgen Eder aus der Gemeinde Kröning (Landkreis Landshut) ist der Verzweiflung nahe. Ohne funktionierende Zahn-Prothese ist der Alltag für den 70-Jährigen zur Qual geworden ...

Kröning. Seit gut sechs Wochen traut sich Hans-Jürgen Eder kaum noch aus dem Haus. Zu sehr schämt er sich. Es geht um seine Zahnprothese – und die Sehnsucht nach ein bisschen Normalität. Der 70-Jährige ist verzweifelt: „Meine Krankenkasse lässt mich im Regen stehen.“

Anfang Juli hat Hans-Jürgen Eder, der in Kirchberg (Gemeinde Kröning, Landkreis Landshut) lebt, einen Termin bei seiner Zahnärztin. Einer der fünf verbliebenen Zähne im Unterkiefer muss gezogen werden. Der 70-Jährige trägt schon seit Jahren eine Prothese. Durch die Extraktion, so erzählt er weiter, sei nun ein neuer Zahnersatz notwendig. Wegen der Übernahme der Kosten wird die Krankenversicherung eingeschaltet.

Es beginnt eine wochenlange Hängepartie, die Hans-Jürgen Eder schier zur Verzweiflung treibt.

Dass die untere Prothese bei einem Missgeschick kaputt ging – nur eine Randnotiz, denn: „Wegen der OP hätte ich die Prothese sowieso nicht mehr tragen können“, sagt er.

Das Problem: Die Oberkieferprothese allein ist ohne das untere Pendant nahezu unbrauchbar. Das Sprechen ist eine Qual. Kauen ist unmöglich. „Ich esse nur noch Suppe und Nudeln“, erzählt der 70-Jährige, der als Schulbusfahrer arbeitet. Und dann ist da noch die Optik. „Zahnluckad“, wie Eder auf gut Bayerisch sagt – das ist für ihn auch eine große psychische Belastung. Er flüchtet sich in Sarkasmus: „Es ist gut, dass man wegen Corona eine Gesichtsmaske tragen muss.“ Damit nicht jeder sofort die gähnende Leere in seinem Mund Mund bemerkt. Oder unter der feuchten Aussprache leidet.

Nach dem Zahnarztbesuch, so erzählt er, ziehen drei Wochen ins Land. Dann, so erzählt er, habe ihn seine Versicherung aufgefordert, sich von einem Gutachter untersuchen zu lassen. „Ich weiß bis heute nicht warum“, klagt er.

Die Ungewissheit und die tagtäglichen Einschränkungen ohne funktionierendes Gebiss zermürben ihn. Sein Vorwurf: „Die Krankenkasse lässt mich im Regen stehen.“ Ehefrau Monika leidet mit ihrem Mann. Sie sagt: „Das ist menschenunwürdig.“

Immerhin, seit Ende letzter Woche gibt‘s Licht am Ende des Tunnels. Das Okay von seiner Versicherung ist endlich da. „Wir konnten die Leistung genehmigen“, so eine Sprecherin der AOK zum Wochenblatt. Den Vorwurf, dass der Vorgang der Genehmigung zu lange gedauert habe, lässt die Kasse nicht gelten. Der Antrag sei erst Mitte Juli bei der AOK eingegangen, heißt es von dort. Und: Die Einschaltung eines Gutachters sei „absolut normal“, um „medizinische und leistungsrechtliche Kriterien“ zu prüfen. Insgesamt, so die Sprecherin, „ging es sogar relativ schnell“.

Ist für Hans-Jürgen Eder die Zeit der Entbehrungen nun vorbei? Der 70-Jährige ist skeptisch. Die Finanzierung ist zwar geklärt, aber: Wie lange er auf die dringend benötigte Prothese warten muss, wann er wieder ohne Scham lächeln oder den geliebten Schweinebraten essen kann – er weiß es nicht. „Dauert es jetzt nochmal so lange? Oder vielleicht noch länger?“, fragt er besorgt. Die AOK-Sprecherin sagt zum Wochenblatt: „Über die Dauer können wir keine Auskunft geben. Dies ist nun Sache des Zahnarztes.“

Will heißen: Der leidgeprüfte Hans-Jürgen Eder hat sein Zahn-Drama längst noch nicht überstanden.

Landshut