Er krempelt den DFB um
„Wollen die Bolzplatzkultur zurück in die Vereine holen“

08.07.2020 | Stand 25.07.2023, 0:15 Uhr
−Foto: n/a

Tobias Haupt war einst der jüngste Sportmanagement-Professor im Land und hat für viele den wohl coolsten Job überhaupt. Der Bruckberger soll als Leiter der DFB-Akademie den deutschen Fußball wieder auf Vordermann bringen. Das Wochenblatt sprach mit dem gebürtigen Landshuter.

Frankfurt/Bruckberg. Herr Haupt, Sie sind seit eineinhalb Jahren als Leiter der DFB-Akademie tätig. Wie läuft‘s denn in Ihrem Job bislang?

Die Aufgabe macht mir seit dem ersten Tag unglaublich viel Freude. Mit der DFB-Akademie sind wir einerseits Wegbereiter für unsere Nationalmannschaften und andererseits Impulsgeber für die Schlüsselakteure im deutschen Fußball. Das ist ein total spannendes Feld mit ganz unterschiedlichen Aspekten, die auch weit über den Fußball hinausreichen. Im vergangenen Jahr haben wir zum Beispiel mit der DFL und den Sportdirektoren der Erst- und Zweitligisten eine Woche lang eine Leadership-Reise in den USA unternommen. Wir haben etwa geschaut, was eigentlich im Silicon Valley passiert, das auch für den Fußball interessant sein könnte. Für unsere Nationalmannschaften haben wir in den vergangenen Monaten ein „Performance Center“ aufgebaut, das alle Kernbereiche des Profifußballs abbildet und in seiner Ganzheitlichkeit im internationalen Fußball einzigartig ist. Wir befinden uns mitten in einer hoch spannenden Weiterentwicklung, um den deutschen Fußball gemeinsam voranzubringen und wieder zurück an die Weltspitze zu führen.

Vor gut einem Jahr fand – mit Ihnen – der Spatenstich der rund 150 Millionen Euro teuren DFB-Akademie in Frankfurt statt. Sind die Arbeiten noch im Zeitplan?

Ja, das sind sie – trotz der Coronapandemie. Unser Generalsekretär Friedrich Curtius, der den Neubau als eines der Leuchtturmprojekte des Verbandes bezeichnet, hat erst kürzlich bekanntgegeben, dass im Juli die Rohbauarbeiten abgeschlossen werden und die Fertigstellung weiterhin für Ende 2021 vorgesehen ist. Man spürt, dass in der Organisation und im gesamten deutschen Profifußball eine Aufbruchsstimmung herrscht.

Wenn Sie auf die Baustelle blicken: Worauf freuen Sie sich schon heute am meisten?

Der DFB wird mit dem Neubau und der Akademie erstmals ein sportliches Zuhause haben. Administration und Sport wachsen unter einem Dach zusammen. Unsere Nationalmannschaften werden erstmals eine eigene sportliche Heimat haben. Ich stelle mir vor, wie etwa eine unserer Nationalmannschaften an der Akademie trainiert, parallel die Spitzentrainer der Zukunft in unserem Fußball-Lehrer-Lehrgang ausgebildet werden, unsere Akademie-Experten mit ihrem Wissen unmittelbar unsere Mannschaften unterstützen und sich alle Beteiligten miteinander austauschen. Es entstehen gemeinsame Ideen, die den Fußball weiterentwickeln werden. Am Abend absolviert dann Eintracht Frankfurt ein Heimspiel im Stadion nebenan, Fredi Bobic schaut vorher vorbei und wir bauen auch die Synergien mit dem Spitzenfußball in Deutschland weiter aus. Der Fußball-Standort Deutschland wird enorm vom neuen DFB und seiner Akademie profitieren.

Sie sind im Oktober 2018 beim DFB angetreten, um die Aus- und Weiterbildung voranzubringen. Konnten Sie schon etwas bewegen?

Das können am besten die Teilnehmer unserer Aus- und Weiterbildungsformate beantworten. Die Aus- und Weiterbildung ist nur einer von vielen Aspekten meiner Tätigkeit. Wir haben vergangenes Jahr unsere Fußball-Lehrer-Ausbildung erstmalig nach elf Jahren reformiert und dabei auf Schwerpunkte wie Persönlichkeitsentwicklung, Menschenführung und Problemlösungsfähigkeit gesetzt. Die Digitalisierung haben wir parallel dazu konsequent vorangetrieben. In der aktuellen Corona-Zeit haben wir es dadurch als einzige der großen Fußballnationen in Europa geschafft, unsere Trainer-Lizenz-Lehrgänge durch unseren „Digitalen Campus“ erfolgreich durchzuführen und Leerlaufzeiten zu vermeiden. Unsere Trainer-Ausbildung ist insgesamt viel individueller geworden – wir unterscheiden stärker zwischen den unterschiedlichen Kernkompetenzen im Kinder-, Junioren- oder Erwachsenenfußball. Zusätzlich dazu stellen wir die Anwendungsorientierung und damit den Praxisbezug in den Vordergrund. Als nächstes Projekt bilden wir – gemeinsam mit der DFL – ab September erstmals auch zukünftige Sportdirektoren aus.

Wenn Sie auf den deutschen Fußball blicken: Was läuft gut – und was muss unbedingt noch besser werden?

Grundsätzlich haben wir eine klare Vision, die Oliver Bierhoff ausgegeben hat: Wir möchten mit dem deutschen Fußball zurück an die Weltspitze. Unsere Überzeugung ist, dass das nur gemeinsam möglich ist, wenn alle Entscheidungsträger im deutschen Fußball an einem Strang ziehen. Entscheidend hierbei ist, dass unsere Talente wieder ins Zentrum des Systems Fußball gerückt werden und die individuelle Entwicklung unserer Talente oberstes Ziel aller Maßnahmen ist. Nur dadurch wird es uns gelingen, dass Deutschland auch in zehn, 15 Jahren noch zu den führenden Fußball-Nationen der Welt gehört. Der heutige Fußball ist derart professionell und komplex, dass es nicht mehr den einen Bereich gibt, in dem wir plötzlich zehn, 15 Prozent herausholen. Aber wenn wir in den verschiedenen Kernbereichen zwei, drei Prozent besser werden, macht das für das große Ganze den entscheidenden Unterschied aus. Wir arbeiten heute daran, die Europameister der Heim-EM 2024 und die Weltmeister 2026 zu entwickeln.

Um eine hochklassige Elite zu bekommen, muss der breite Unterbau stimmen: Welche Tipps können Sie den kleinen Vereinen für eine „erfolgreiche“ Nachwuchsarbeit geben?

Die 25.000 Amateurvereine sind die Herzkammer des deutschen Fußballs. Mich freut immer wieder, wenn ich sehe, mit wie viel Freude die Kinder und Jugendlichen nun wieder auf die Trainingsplätze zurückkehren können. Grundsätzlich sollten wir in der Nachwuchsarbeit die richtige Mischung aus freiem, kreativem Spiel und der Vermittlung von technischen Fähigkeiten finden. Von den Vereinen an der Basis über die DFB-Stützpunkte bis hin zu den Leistungszentren und den U-Nationalmannschaften hat der DFB eine hervorragende, pyramidenförmige Struktur, von der unsere Talente profitieren. Eine Struktur, um die uns viele andere Nationen beneiden. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, diese Struktur immer wieder mit Leben und Inhalten zu füllen und uns permanent zu hinterfragen, was wir strukturell verändern und verbessern können, damit sich unsere Talente noch besser und individueller entwickeln können.

Der FC Bayern hat vor wenigen Wochen angekündigt, die U9 und U10 aus dem Spielbetrieb zu nehmen, um den Zeit- und vor allem den Leistungsdruck bei den jungen Kickern zu reduzieren: Ist dies in Ihren Augen ein richtiger Schritt?

Ich tausche mich viel mit unseren Trainern beim DFB und den Sportdirektoren sowie weiteren sportlichen Entscheidern der Klubs aus. Die Entwicklung der vergangenen Jahre hat gezeigt, dass wir speziell im Kinderfußball neue Freiräume schaffen müssen. Für die Jungs und Mädchen geht es darum, in erster Linie Spielfreude und Kreativität auf dem Platz zu entwickeln – und nicht darum, mit neun oder zehn Jahren schon ein 1:0 über die Spielzeit zu bringen. Das taktische Verständnis kann auch in späterem Alter noch entwickelt werden, individuelle technische und kreative Fähigkeiten können aber nicht mehr nachgeholt werden. Eins-gegen-eins, Zwei-gegen-zwei, viele Ballkontakte, Dribblings, die nötigen Freiräume zu geben, um Fehler zuzulassen und aus ihnen zu lernen – wir wollen die Bolzplatzkultur in die Vereine zurückholen. Der DFB setzt in ganz vielen der 21 Landesverbände schon neue Wettbewerbsformate erfolgreich um, die richtig gut ankommen.

Zum Abschluss: Welche Ziele verfolgen Sie mittel- und langfristig mit dem DFB?

Da sind mir zwei Aspekte wichtig: In der DFB-Akademie möchte ich, dass wir nicht nur unsere Projekte weiterhin so engagiert und erfolgreich im Sinne des deutschen Fußballs umsetzen, sondern auch diese positive Atmosphäre, das Wir-Gefühl, das gemeinsame Momentum, das wir aktuell im deutschen Profifußball feststellen, weitertransportieren. Denn nur gemeinsam schaffen wir es zurück an die Weltspitze. Als Zweites ist es mir wichtig, dass wir mit unserem „Performance Center“ für unsere Spieler, Trainer und Experten weiterhin ein Kompetenzzentrum und Wegbereiter für zukünftige Erfolge sind – sowohl im Hinblick auf den Restart der Länderspiele im September als auch hinsichtlich der anstehenden großen Turniere, die in den nächsten Jahren auf uns warten.

Landshut