Ein Nachmittag im Mercedes AMG
Der Ritt auf sieben Pistolenkugeln!

08.11.2017 | Stand 13.09.2023, 0:54 Uhr
Alexander Schmid
−Foto: Foto: Schmid

Wie sich 3.951 PS unter dem Hintern für einen ganz normalen Autofahrer anfühlen.

LANDSHUT Der Motor heult nicht. Eher ist es ein düsteres Grollen. So, als würde ein großer Hund kurz vor dem Zubeißen knurren. Gleichzeitig vibriert der Wagen, als wäre die Bestie, die unter der Motorhaube schlummert, kaum zu bändigen. Andreas Schreiner vom Mercedes-Autohaus Schreiner-Wöllenstein hat heute zum Testnachmittag geladen. Für ausgesuchte Kunden hat er sieben nagelneue AMG-Modelle kommen lassen. Einen Nachmittag lang dürfen die auf einer 150 Kilometer langen Strecke zur Probe gefahren werden. Insgesamt 3.951 PS stehen auf dem Hof. Auch ich habe eine Einladung bekommen. Nicht etwa, dass so ein Wagen in mein Budget passen würde. Ich bekam das Angebot, das Projekt journalistisch zu begleiten und habe spontan zugesagt. Ein bisschen in einem Benz durch die Gegend tuckern, das hört sich gemütlich an. Dachte ich mir jedenfalls als Durchschnittsautofahrer der Golf-Klasse. Ich lag falsch.

AMG – die drei Buchstaben haben Kultstatus. Sie stehen für eine Tochtergesellschaft der Daimler AG, die zuständig für die High-Performance-Fahrzeuge des Konzerns sind. Ingenieure bauen die Motoren von Hand zusammen. Sie unterschreiben auf Plaketten, die auf dem Motor angebracht sind. Auf gut deutsch: AMG baut Sportwagen der Extraklasse. Man könnte es aber auch so beschreiben: AMG ist es, wenn man das Gaspedal durchtritt und das Gehirn am Ortsschild zurückbleibt, während der Wagen schon kurz vor der Autobahnauffahrt ist.

So geht es jedenfalls mir gerade. Mein Kollege Peter – er war früher Personenschützer und hat unzählige Fahrtrainingseinheiten absolviert – drückt das Gaspedal durch. Mit dem gemütlichen Cruisen ist es vorbei. Die Beschleunigung des AMG S63 4 Matic (612 PS) ist brutal. In nur 3,4 Sekunden schafft es der Wagen, auf 100 Kilometer in der Stunde zu beschleunigen. Es drückt mich in den Sitz. Mein Magen wickelt sich gerade um die Wirbelsäule. Die Bestie unter der Motorhaube ist hellwach.

„Schau mal, der zeigt sogar die G-Kräfte an“, sagt Peter fröhlich und zeigt auf die digitale Instrumententafel, als wir auf die Autobahn fahren. Ich brauch die Anzeige nicht. Die Fliehkraft zerrt spürbar an mir, während der Wagen wie auf Schienen durch die Kurve fährt.

Um gegen die Naturgesetze bestehen zu können, hat sich der nette AMG-Ingenieur etwas Tolles einfallen lassen. Wie durch Geisterhand bewegt sich die rechte Seite meines Sitzes und drückt sanft gegen meine Rippen. Das ist notwendig, damit man im Fahrmodus „Sport+“ nicht an der Seitenscheibe klebt.

„Bitte nicht den Race-Modus!“

Gut, dass die AMG-Instruktoren, die den Konvoi aus sieben Fahrzeugen in eigenen Autos begleiten und über Funk mit jedem Wagen verbunden sind, untersagt haben, den „Race“-Modus einzustellen. Für den sollte man den Pilotenschein haben oder ausgebildeter Rennfahrer sein. Doch auch ohne Race-Modus hat Peter, der schon einmal einen Formel-1-Flitzer fahren durfte, hinter dem Lenkrad jede Menge Spaß.

Immer nach einigen Kilometern gibt es einen Zwischenstopp, wechseln die Fahrerteams die Fahrzeuge. Es geht über Furth nach Mauern, zurück nach Landshut und über Geisenhausen nach Vilsbiburg. Wir testen superschnittige Cabrios, astreine Sportwagen wie den GTS (585 PS), bei dem sogar die Hinterachse mitlenkt und Fahrzeuge, die zwar halbwegs wie ganz normale Autos aussehen, es aber nicht sind.

Während mein professionell geschulter Kollege fachmännisch durchaus Unterschiede im Fahrverhalten bemerkt und kommentiert, fühle ich mich jedes Mal, als würde ich aus einem Pistolenlauf geschossen. Von der Landschaft ringsum und all den Annehmlichkeiten, die die luxuriös ausgestatteten Fahrzeuge zu bieten haben, bekomme ich deshalb fast nichts mit. Es gibt nur noch die Straße, die Beschleunigung, die Kurven, das Brüllen des Motors, die zupackenden Bremsen.

Nach knapp zweieinhalb Stunden und sieben Fahrzeugen später ist die Rundfahrt dann auch schon wieder vorbei. Diesmal tuckern wir wirklich äußerst gemütlich in Richtung Landshut. Wir sitzen im AMG GT mit „nur“ 510 PS und rollen von Adlkofen nach Schweinbach. Die Welt ist schön, das Dach ist offen, trotzdem ist es im Fahrzeug erstaunlich ruhig. Hätte ich Haare, kein einziges würde im Wind flattern. Obwohl es ein kühler Herbsttag ist, herrschen im Fahrzeug mollige Temperaturen. Echte Ingenieurskunst, so wie ich sie mag.

„Schade, schon vorbei“, sagt Peter. Ich verabschiede mich etwas geplättet von ihm. „So muss man sich nach einem Astronautentraining fühlen“, denke ich mir und steige wieder in mein Auto. Komisch, irgendwie kommt es mir gerade so vor, als würde der Motor fehlen.

Landshut