Ein Mausklick zum Grauen
Deutschlands erster Internet-Fahnder gibt Eltern Tipps zur Online-Sicherheit

25.03.2018 | Stand 25.07.2023, 3:10 Uhr
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Welche Gefahren lauern im Internet? Mit welchen Tricks können Eltern ihre Kinder davor schützen? Ab wann sollten Kinder ein Smartphone besitzen? Im Interview mit dem Wochenblatt gibt Internet-Fahnder Rainer Richard Eltern wertvolle Tipps zur Online-Sicherheit ihrer Kinder.

MÜNCHEN. Das Internet spielt eine immer größer werdende Rolle, birgt aber auch viele Gefahren. Onlinefähige Smartphones sind inzwischen allgegenwärtig. Unsere multimediale Welt stellt Eltern bei der Erziehung ihrer Kinder vor neue Herausforderungen. Einer, der die düstere Seite des Internets kennt, wie kaum ein anderer, ist Kriminalhauptkommissar Rainer Richard. Der EDV-Sachverständige ist seit 1996 am Polizeipräsidium München als einer der ersten deutschen Internet-Fahnder tätig. Im Wochenblatt-Interview spricht er über die Gefahren der virtuellen Welt und gibt Eltern Tipps zum Schutz ihrer Kinder.

Herr Richard, in ihrer Freizeit sind Sie als Autor und Vortragsredner im Zeichen des Jugendmedienschutzes tätig. In ihrem aktuellen Vortrag „Multimedia ohne Grenzen – Nur ein Mausklick bis zum Grauen“ geht unter anderem um sexuellen Missbrauch von Kindern in Online-Chats. Viele Eltern meinen, so etwas könne ihren Kindern nie passieren ...

Rainer Richard: Ich bin seit 22 Jahren im Bereich „Cybercrime“ tätig und bekomme täglich mit, welche Inhalte im Internet veröffentlicht werden. Wer meint, junge Menschen würden damit nicht konfrontiert werden, irrt gewaltig. Bei der Auswertung von Datenträgern und Smartphones der jungen Nutzer wird man mit der Realität konfrontiert. Wir können genau feststellen, welche Webseiten aufgerufen wurden, welche Inhalte angesehen und auf die Festplatten oder Smartphones geladen wurden.

Porno. Gewalt. Horror. Im Internet schlummern viele Gefahren. Ein Zauberwort in diesem Zusammenhang ist Medienkompetenz.

Zunächst einmal müssen wir Erwachsenen über Medienkompetenz verfügen. Wir müssen wissen, welche Gefahren online auf unsere Kinder lauern und welche Inhalte wir ihnen zumuten können. Erst, wenn dieser Schritt vollzogen ist, können wir unseren Kindern einen verantwortungsvollen Umgang mit den Neuen Medien vermitteln.

Was ist das Schwierige in dem Zusammenhang?

Meine Erfahrungen haben ergeben, dass es sich viele Eltern zu einfach machen und diese Verantwortung gerne auf die Schule abschieben. Das kann aber nicht funktionieren, denn was unsere Kinder in ihrer Freizeit, zu Hause, machen, das obliegt der elterlichen Aufsichtspflicht.

Ab welchem Alter sollten Kinder ihrer Meinung nach Erfahrungen mit den Neuen Medien sammeln?

Man darf nicht den Fehler machen, Kinder zu früh an die Neuen Medien heranzuführen. Immer wieder erfahre ich, dass schon im Kindergarten versucht wird, die Kinder an PCs und Tablets heranzuführen. Meiner Meinung nach sollten Kinder ihre Umwelt erst einmal dreidimensional mit ihren eigenen Händen begreifen, bevor man sie in die Zweidimensionalität des Internets schickt. Ich bin auch der Meinung, dass ein acht- oder zehnjähriger Schüler noch keinen eigenen PC in seinem Kinderzimmer stehen haben muss.

Auf der Homepage www.nur-ein-mausklick.info geben Sie Eltern und Lehrern Tipps in Sachen Jugendmedienschutz. Wie können Eltern ihren Nachwuchs im Internet bzw. vor den dunklen Seiten des Internets schützen?

Computer und TV sind schlechte Babysitter. Man sollte versuchen, Kindern andere Freizeitaktivitäten wie z.B. Sport, Musik, Basteln usw. anzubieten. Wenn der Wunsch nach der Computernutzung immer größer wird, dann müssen Eltern ihre Kinder vor allem in jungen Jahren durch ihre Gegenwart unterstützen. Eltern müssen wissen, um was es in einem Computerspiel geht und welche Web-Seiten ihre Kinder besuchen.

Was ist in dem Zusammenhang noch wichtig?

Der Einsatz von Jugendschutzfiltern am PC ist obligatorisch. Es gehört auch dazu, feste Regeln aufzustellen, wie lange ein Kind den PC oder die Spielkonsole benutzen darf. Erst ab ca. 13 bis 14 Jahren würde ich empfehlen, Kindern einen eigenen PC ins Kinderzimmer zu stellen.

Thema Smartphone. Ab wann sollten Kinder ihrer Meinung nach ein eigenes haben?

Von den Begrifflichkeiten her muss man zunächst einmal zwischen Handy und Smartphone unterscheiden. Ich plädiere dafür, dass Kinder, sobald sie in die Schule gehen, ein Handy haben, um in Notfall jemanden erreichen zu können. Schließlich gibt es heute praktisch keine Telefonzellen mehr. Ich empfehle sogenannte Senioren-Handys mit extra großen Tasten und einem Notruf-Knopf auf der Rückseite.

Und internetfähige Smartphones? Heute will doch fast jedes Kind möglichst früh so ein Gerät haben.

Ein Kind sollte erst ab 13 Jahren ein Smartphone besitzen. Und zwar mit entsprechendem Jugendschutz-Tarif, wie ihn z. B. die Telekom anbietet.

Welche technischen Möglichkeiten haben Eltern, um die Smartphones ihrer Kinder „sicherer“ zu machen?

Jugendschutzfilter auf PCs sollten heute obligatorisch sein. Aber auch Smartphones von Kindern benötigen Schutz. Folgende Produkte kann ich empfehlen: Kaspersky Safe Kids, Vodafone Child Protect für Android-Geräte (erhältlich über www.jugendschutzprogramm.de) und für Apple-Geräte den JusProg-Kinderschutzbrowser. Wer im Web nach „Wie richte ich eine Kindersicherung im Smartphone ein?“ recherchiert, erhält viele Informationen, wie man mit Hilfe der Smartphone-Betriebssysteme die mobilen Geräte kindersicher macht.

Sie warnen davor, Fotos in sozialen Netzwerken zu posten oder persönliche Daten zu veröffentlichen. Warum eigentlich?

Die Nutzung sozialer Netzwerke ist augenscheinlich kostenlos. Tatsächlich aber „bezahlen“ die Nutzer mit ihren Daten. Die werden entweder durch die Betreiber der sozialen Netzwerke oder durch den Verkauf an Dritte für Werbezwecke genutzt. Hinzu kommt, dass ein direkter Zusammenhang zu Mobbing-Delikten im Zusammenhang mit entsprechenden Profilseiten hergestellt werden kann. Das soll heißen: je mehr persönliche Daten jemand Preis gibt, desto größer ist die Gefahr, dass man Opfer des sogenannten Cyber-Mobbings wird.

Es heißt, erschreckend viele Kinder seien schon einmal Opfer von Cyber-Mobbing geworden. Was ist das eigentlich?

Das ist ein Überbegriff für verschiedenste Straftaten im Zusammenhang mit den Neuen Medien. Es reicht von Nachstellen, Beleidigen und Bedrohen über Körperverletzung bis hin Datenschutzdelikte wie der Verletzung des Rechts am eigenen Bild. Bei all diesen Delikten werden die Neuen Medien als Transportmedium genutzt. Statistiken zufolge sind in Deutschland über vierzig Prozent der jungen Menschen im Alter von 12 bis 18 Jahren schon einmal Opfer von Cyber-Mobbing geworden. Diese Zahlen erschrecken, zumal die Fallzahlen jährlich steigen.

Was ist die Besonderheit des Cyber-Mobbings?

Mobbing an sich ist keine neue Kriminalitätsform, so etwas gab es schon immer. Vor dem Internet-Zeitalter beschränkte sich Mobbing auf das unmittelbare räumliche Umfeld: in der Schulklasse, im Sportverein oder in der Nachbarschaft. Durch das Internet hat Mobbing ganz andere Dimensionen angenommen. Der Täter im Internet relativ anonym arbeiten und es ist nicht mehr auf das lokale Umfeld begrenzt. Durch die vorhandenen Anonymisierungsmethoden, die das Netz bietet, führt es auch zur großen Verunsicherung des Opfers.

Was kann dagegen unternommen werden?

Der Prävention muss ein größeres Augenmerk geschenkt werden. Man muss jungen Menschen klar machen, dass Cybermobbing kein Spaß oder ein Kavaliersdelikt ist, sondern dass es sich um massive Straftaten handeln, mit denen man labile Menschen bis in den Freitod treiben kann! Die Übernahme dieser Prävention kann aber nicht der Schule alleine aufgebürdet werden. Vielmehr müssen Gesellschaft, Eltern, Lehrer und auch Politik gemeinsam einen Weg finden, dieses Problem zu bekämpfen.

Zurück zum Social Media. Was kann mit Bilder geschehen, die gepostet werden?

Es gab in der Vergangenheit schon einige Fälle, bei denen Nutzer Fotos, die sie auf ihre Profilseiten eingestellt hatten, plötzlich in Zeitschriften oder Plakatwänden wieder veröffentlicht wurden. Dabei haben die betroffenen Personen normalweise keine Chance dagegen vorzugehen, da sie zur Nutzung der jeweiligen Plattform ihre Zustimmung zu den AGBs des Anbieters gegeben haben. Konkretes Beispiel: Eine 16-jährige Dänin hat ihr Foto, das sie in Facebook eingestellt hatte, auf einer Plakatwand in ihrer Stadt entdeckt. Sie wurde mit ihrem Foto als Werbeträgerin für Damenhygiene-Artikel missbraucht.

Kann so etwas auch in Deutschland passieren?

Solange die Nutzer die AGBs, insbesondere von Facebook, akzeptieren, wäre ein solcher Fall auch in Deutschland denkbar.

Vielen Dank für das Gespräch!

Mühldorf a.Inn