Altbürgermeister Hans Gschwendtner zu den Ereignissen im September 1989 am Berger-Parkplatz Vilshofen
VILSHOFEN Vom 11. bis zum 18. September 1989 verwandelte sich der Berger-Parkplatz in Vilshofen in eine Zeltstadt voller DDR-Flüchtlinge. Der damalige 2. Bürgermeister Hans Gschwendtner erinnert sich im Gespräch mit PaWo-Volontärin Elisabeth Fuller an diese historischen Tage zurück. Hans Gschwendtner war 1. Bürgermeister der Stadt Vilshofen an der Donau.von 1990 bis 2008
Am Freitag, 12. September, wird in Vilshofen eine Ausstellung eröffnet, im Rathaus Passau findet eine Gedenkveranstaltung statt siehe hier!
Herr Gschwendtner, ab wann wussten Sie Bescheid, dass ein Flüchtlingslager am Berger-Parkplatz aufgebaut werden sollte? Keiner wusste genau, ob und wann nun wirklich die Grenzen für die DDR-Flüchtlinge geöffnet werden würden. Mitte bis Ende August wurde aber hinter vorgehaltener Hand darüber gemunkelt. Altlandrat Hanns Dorfner informierte mich über das möglicherweise bevorstehende Ereignis und bat mich um Zustimmung, die er natürlich sofort bekam. Vier Tage vor Ankunft der ersten Flüchtlinge fiel dann auch endlich der Startschuss für THW, FFW, BRK, Bauhof, Stadtwerke und viele andere Helfer, um den Flüchtlingen ein angemessenes Willkommen zu bereiten.
Wie wurden die ganzen Menschen untergebracht? 60 Zelte beherbergten jeweils 10 Personen, 40 Dixie-Klos, unzählige Telefonsprechzellen, Essenszelte und Warenlager besiedelten den heutigen Berger-Parkplatz in Vilshofen. Zusätzlich wurde die Dreifachturnhalle für Familien mit Kindern geöffnet. 1 500 Flüchtlinge erfreuten sich an der Hilfsbereitschaft und Fürsorge der Stadt Vilshofen.
Wie verlief der Tag der Grenzöffnung? Es war am Montag, 11. September 1989, als ich um drei Uhr morgens einen Anruf bekam, dass die Grenzen nun bald geöffnet werden würden. Um fünf Uhr war es dann so weit: Die ersten Trabbis reihten sich am Volksfest-Parkplatz auf und die Flüchtlinge registrierten sich in den Zelten. Danach trudelten nach und nach immer mehr Flüchtlinge ein. Ein Fest der Gefühle. Mit Tränen der Freude und Erleichterung fielen sich die rund 1 500 Eingereisten in die Arme. Viele riefen Verwandte an und schrien völlig fassungslos in die Telefonapparate.
Wieso verließen die Menschen ihr gewohntes Leben? Eine gute Frage, die eigentlich ganz simpel zu beantworten ist: Die meisten haben ihr Hab und Gut zurückgelassen, verzichteten auf ihren sicheren Arbeitsplatz, ihr Haus oder die Wohnung. Warum? Nur um nicht mehr eingesperrt zu sein, hinter den meterdicken und tonnenschweren Betonmauern, die sie umzingelten. Eine bereits hochschwangere Frau erzählte mir und Hanns Dorfner, dass sie all die Reisestrapazen auf sich genommen hat, um ihr Kind in Freiheit zu gebären.
Haben Sie zu diesem Zeitpunkt das Ausmaß und die große Bedeutung dieser Tage erahnen können? Zu diesem Zeitpunkt hatte keiner auch nur im geringsten ahnen können, dass ein paar Monate später die Grenzen generell in ganz Deutschland geöffnet werden, wir dachten, dass das nur eine kurze Öffnung der Grenzen sei. Wenn ich jetzt zurück blicke bin ich mir sicher, dass die Stadt Vilshofen einen erheblichen Teil zur Beschleunigung der Wiedervereinigung beigetragen hat. Eine Wiedervereinigung, und das muss man betonen, ganz ohne Blutvergießen in Frieden, Freiheit und Demokratie!
Sind Ihnen an diesem Tag irgendwelche negativen Reaktionen aufgefallen? Negative Reaktionen gab es an diesem Tag mit Sicherheit keine. Was mich heute, 25 Jahre später, sehr ärgert, ist das aktuelle Wahlergebnis bei der Landtagswahl in Sachsen, da die Wahlbeteiligung unter 50 Prozent lag und die Teilnahme an der Wahl doch Grundvoraussetzung für eine funktionierende Demokratie ist. Stolz auf Bürger, Stadt und Hilfsbereitschaft!
Wie war die Stimmung unter den Ankömmlingen? Manche waren einfach nur erschöpft von der langen Reise und der Aufregung. Andere hingegen feierten im Gemeinschaftszelt. Eins hatten sie aber alle gemeinsam: Sie alle waren unglaublich erleichtert und froh über die lang ersehnte und nun neu gewonnene Freiheit. Sind Sie stolz, dabei gewesen zu sein? Ich bin nicht persönlich stolz auf mich selbst, sondern auf die gesamte Stadt Vilshofen, die das Auffanglager mögliche gemacht hat und so tatkräftig mitgeholfen hat. Ich selbst bin sehr glücklich darüber und dankbar dafür, dass ich meinen kleinen Teil dazu beitragen durfte, der Großes bewegen konnte.
Freuen Sie sich auf den Gedenktag am kommenden Freitag? Ich bin sehr froh und dankbar, dass wir heuer die 25-jährige Grenzöffnung zwischen Ungarn und Österreich feiern können. Das Fest soll die Erinnerungen an damals wieder aufleben lassen und vor allem auch die junge Generation, die dies nicht miterlebt hat, informieren. Zudem hat mich in meiner gesamten Laufbahn meiner 40-jährigen Tätigkeit in der Kommunalpolitik nichts so sehr bewegt.
Passau