Corona-Krise
„Kinderschutz ist eine systemrelevante Aufgabe“ – in manchen Fällen sind Hausbesuche dringend notwendig

29.04.2020 | Stand 13.09.2023, 6:48 Uhr
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Kinderschutz ist eine systemrelevante Aufgabe. Zum einen steht das Wohl des Kindes an oberster Stelle – auch in Krisenzeiten. Zum anderen muss die Gesundheit der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter geschützt werden, um einen Ausfall oder gar eine Überforderung der Kinderschutzstrukturen zu verhindern. Wie gehen die Jugendämter der Stadt und des Landkreises Regensburg mit dieser Verantwortung um?

Regensburg. „Corona wirkt sich natürlich auch auf die tägliche Arbeit im Jugendamt aus. Viele Kolleginnen und Kollegen arbeiten abwechselnd im Büro und im Homeoffice. Oberstes Ziel ist es, die tägliche Einsatzbereitschaft des Jugendamtes aufrechtzuerhalten, was uns auch ganz gut gelingt“, erklärt das Jugendamt am Landratsamt Regensburg auf Wochenblatt-Anfrage. In ambulanter Betreuung des Jugendamtes, sei es in Form von Hilfen wie der Sozialpädagogischen Familienhilfe oder der Erziehungsbeistandschaft oder auch durch regelmäßige Kontakte mit dem Sozialpädagogischen Fachdienst, befinden sich laut Angaben des Jugendamtes weit mehr als 350 Familien mit insgesamt mehr als 600 Kindern beziehungsweise Jugendlichen. Die Familienhilfen und die Erziehungsbeistandschaften werden dabei im Auftrag des Jugendamtes von pädagogischen Fachkräften wahrgenommen, die bei freien Jugendhilfeträgern angestellt sind. Diese Hilfen werden in Zeiten von Corona soweit wie möglich aufrechterhalten, wenn zum Teil auch in anderer Form (Telefon, soziale Medien, Skype, WhatsApp, und so weiter). Nach einer Lockerung der aktuellen Einschränkungen sollen die zum Teil eingeschränkten oder reduzierten Hilfen wieder voll anlaufen, so das Jugendamt.

Ähnlich läuft die Arbeit derzeit im Jugendamt der Stadt Regensburg ab: „Das Jugendamt versucht, die Vor-Ort-Kontakte zu den Familien zu deren eigenem und zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu reduzieren. Alle Mitarbeiter, Familienhelferinnen und alle anderen ambulanten Dienste halten mit ,ihren‘ Familien über Telefon oder andere Medien Kontakt.“ Hausbesuche finden nur noch statt, wenn man Sorge um das Kindeswohl hat. Hierfür seien die Fachkräfte mit Schutzmaterial ausgestattet und es werde in jeder Situation genau geprüft, wie vorzugehen ist. „So kann beispielsweise eine Familie auch ins Amt eingeladen werden und das Gespräch wird in einem ausreichend großen Besprechungsraum geführt, der den Mindestabstand zulässt. In anderen Fällen kann es vorkommen, dass ein Hausbesuch zwingend erforderlich ist, da ein Eindruck von der häuslichen Situation unabdingbar für eine Beurteilung ist“, informiert die Stadt.

Das Jugendamt des Landkreises Regensburg konnte bisher „keine überdurchschnittliche Anzahl an Meldungen festzustellen“. Auch beim städtischen Jugendamt sei noch kein corona-bedingter Anstieg der Fälle zu verzeichnen, „weil aber beispielsweise aus China und Italien ein deutlicher Anstieg an Kindeswohlgefährdungen im Zuge der Beschränkungen gemeldet wurde, die mit der Corona-Pandemie verbunden sind, sind alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes diesbezüglich besonders sensibilisiert“. Die Stadt Regensburg erklärt: „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Jugendamtes sind darauf angewiesen, dass Hinweise beziehungsweise Beobachtungen über Kinder in Not- beziehungsweise Gefährdungssituationen schnellstmöglich mitgeteilt werden.“ Dies finde überwiegend durch das gesamte soziale Netzwerk statt, in dem sich Kinder aufhalten. Da sich Kinder aktuell fast ausschließlich zu Hause befinden, sei es wichtig, dass sich betroffene Familien rechtzeitig selbst an die Fachkräfte wenden – „und das nach Möglichkeit bereits bevor die Situation eskaliert“ –, oder dass Nachbarn, Freunde, Verwandte Beobachtungen über Kinder in Notsituationen mitteilen. „Sie sollten dabei nicht fürchten, dass sie jemanden denunzieren. Es geht hier ausschließlich ums Kindeswohl. Und selbstverständlich werden Meldungen auf Wunsch auch anonym behandelt“, versichert das Jugendamt.

Probleme in Familien gibt es viele, auch unabhängig von der Pandemie. Dennoch ergeben sich mancherorts neue Schwierigkeiten: Immer mehr unterhaltspflichtigen Elternteilen sei es nicht mehr möglich, den Unterhalt für ihre Kinder zu bezahlen. Viele Alleinerziehende seien deshalb gezwungen, Unterhaltsvorschussleistungen beim Jugendamt beziehungsweise Leistungen beim Jobcenter zu beantragen, berichtet das Landratsamt Regensburg. Auch bei geteiltem Sorgerecht für Trennungskinder gebe es derzeit in manchen Familien Konflikte: „In der Regel üben geschiedene oder getrennt lebende Eltern das Sorgerecht für ihre Kinder gemeinsam aus. In den allermeisten Fällen sind sich diese Eltern auch infolge der von Corona verhängten Ausgangsbeschränkung einig, in welchem Umfang die Umgangs- und Besuchskontakte, zum Beispiel an Wochenenden oder während der Ferien, gestaltet und ausgeübt werden. Seit Corona kommt es aber vereinzelt vor, dass sich Eltern nicht einigen können, sei es aus Angst vor Ansteckung oder weil ganz einfach die Entfernung zum anderen Elternteil zu groß ist oder dort unklare Verhältnisse befürchtet werden.“ Das Jugendamt übernehme hier die Vermittlerrolle zwischen beiden Elternteilen. Bei strittigen Fällen könne es infolge der aktuellen Lage aber dennoch zu Umgangseinschränkungen kommen.

Das Jugendamt der Stadt Regensburg ergänzt: „Jugendliche, die sich eher an den Gruppen der Gleichaltrigen orientieren und Zeit mit diesen verbringen wollen, sind nun ausschließlich mit den Eltern zusammen. Dies führt immer wieder zu Konflikten. Kleine Kinder sind nun ausschließlich auf die Betreuung und Unterstützung der Eltern oder Elternteile angewiesen, die in Überlastungssituationen schnell an ihre Grenzen kommen. Fehlende Entlastungsmöglichkeiten außerhalb der Familie belasten das familiäre Klima.“ Für viele Familien sei dies eine große Herausforderung. „Wenn dann noch der drohende Verlust des Arbeitsplatzes und Existenzängste dazukommen, kann das der berühmte Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.“

Das Jugendamt der Stadt empfiehlt deshalb, nicht zu zögern und rechtzeitig Hilfe zu suchen: „Offen miteinander reden, Fehler und Schwächen auch mal zugeben und auf keinen Fall die Situation tabuisieren. Bei ersten Unsicherheiten in den bekannten Beratungsstellen oder beim Jugendamt anrufen.“ Die Jugend- und Familientherapeutische Beratungsstelle ist erreichbar unter der Telefonnummer 0941/ 507-2762. Das Jugendamt der Stadt Regensburg ist während der Bürozeiten unter der Telefonnummer 0941/ 507-2512 und außerhalb der Bürozeiten unter der Nummer 0941/ 507-4760 zu erreichen. Bei Kindeswohlgefährdungen und für Jugendliche in Krisensituationen wird dringend der Notruf geraten. Weitere Informationen zum Thema „Kinderschutz in der Corona-Isolation“ stellt die Stadt im Internet unter www.regensburg.de und www.regensburg.de zur Verfügung.

Auch das Jugendamt des Landkreises Regensburg rät dazu, sich rechtzeitig beim Jugendamt oder bei Beratungsstellen zu melden und leistet „wie bisher auch Hilfe und Unterstützung durch den Sozialpädagogischen Fachdienst des Kreisjugendamtes“. Daneben stehen den Eltern aus dem Landkreis die drei Erziehungs- und Familienberatungsstellen der Katholischen Jugendfürsorge, des Diakonischen Werks und der Stadt Regensburg sowie die Online-Beratung des deutschen Kinderschutzbundes zur Verfügung. Weitere Infos findet man im Internet unter www.landkreis-regensburg.de.

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