Entscheidung
Kein Recht auf gute Eltern: Pflegekinder müssen zurück zur leiblichen Mutter

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 7:01 Uhr
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Maximilian und Moritz waren 1 und 3, als das Jugendamt des Landkreises Regensburg einschritt: Sie wurden ihrer leiblichen Mutter "entzogen", wie es im Behördendeutsch heißt. Ihre Pflegefamilie akzeptierte sie, als wären sie die leiblichen Kinder. Doch jetzt sollen sie zurück.

LANDKREIS REGENSBURG Vielleicht sind Maximilian und Moritz die beiden Leidtragenden in diesem Streit. Wir haben ihre Namen geändert, denn der Sechsjährige und sein vierjähriger Bruder müssen besonders geschützt werden. Sie sind Pflegekinder, leben bei Kurt und Maria Meier (alle Namen geändert) im Landkreis Regensburg. Im Alter von eins und drei Jahren wurden sie ihrer leiblichen Mutter, einer heute 25-jährigen Frau, vom Jugendamt des Landkreises entzogen. Jetzt sind Maximilian und Moritz ein Fall für das Familiengericht: Nach drei Jahren in der Pflegefamilie sollen sie wieder an ihre leibliche Mutter gegeben werden.

Die Pflegeeltern Kurt Meier und seine Frau sind verzweifelt: „Die Mutter sorgt nicht richtig für die Kinder“, sagen die Meiers. Das Paar hatte sich, nachdem es vergeblich versucht hatte, leibliche Kinder zu bekommen, dazu entschieden, Pflegekinder aufzunehmen. Als sie mit Maximilian und Moritz zwei Kleinkinder in Obhut nahmen, erfüllte sich ein Lebenstraum. Jetzt stehen sie vor den Scherben dieses Traumes, denn die Kinder sollen ihnen wieder genommen werden.

Im Jahr 2014 lebten mehr als 70.000 Kinder und Jugendliche deutschlandweit in Pflegefamilien. Bei fast jedem zweiten Pflegekind musste das Jugendamt den leiblichen Eltern das Kind entziehen, weil es vernachlässigt, körperlich oder gar sexuell missbraucht wurde. Etwa 80 bis 90 Prozent, so eine Studie des Bundesfamilienministeriums, seien während der Kindheit einer traumatisierenden Belastung ausgesetzt. Es geht also um die Schwächsten in einer Gesellschaft, um die, die am verletzlichsten sind. Pflegefamilien fangen das oftmals auf: Im statistischen Mittel leben Pflegekinder etwa fünf Jahre in ihren „Ersatzfamilien“. Kurt Meier erinnert sich noch heute daran, wie die Kinder bei ihnen ankamen. „Maximilian war schwer emotional geschädigt, trug mit drei Jahren noch Windeln. Auch Moritz war stark entwicklungsverzögert, der Einjährige konnte weder gehen, noch sitzen“, erinnert sich Meier. Von ihrer leiblichen Familie hält die Oma Kontakt mit den Kindern. Nach Auskunft Meiers ist die Oma bis heute überzeugt davon, dass die Kinder in der Pflegefamilie bleiben sollten.

Am 11. Januar 2017 kommt es zu einer Gerichtsverhandlung am Amtsgericht Regensburg. Gegenstand ist die Absicht des Jugendamtes, die Kinder ihrer leiblichen Mutter zurückzugeben. Wie üblich in solchen Fällen, ist die zuständige Person der Gutachter, dessen Urteil für das Gericht entscheidend ist.

Polizei findet Drogen in Wohnung der Mutter

Vor allem steht im Raum, dass sich die Kindsmutter mit Drogenkonsumenten in der Vergangenheit umgeben hatte. Sowohl der Kindsvater, als auch ein Lebensgefährte kamen mit dem Gesetz in Konflikt. Kurz vor Weihnachten 2015 findet die Polizei eine Schachtel mit Drogen, unter anderem Kokain, in der Wohnung der Kindsmutter. Sie sagt, die Drogen gehörten ihr nicht. Zudem attestiert das Gutachten der Mutter selbst psychische Probleme, für die junge Frau wurde 2012 sogar eine Betreuung in Vermögensdingen beschlossen.

Der Staat muss dafür Sorge tragen, dass Kinder nicht gefährdet sind in ihrer Familie. Aber er darf eben nicht entscheiden, ob Eltern gute oder schlechte Eltern sind. Er darf auch nicht entscheiden, ob die Pflegefamilie Meier besser geeignet ist für Maximilian und Moritz, als es die leibliche Mutter der Kinder ist. Denn der Staat ist keine Familienpolizei. Das ist traurig für die Meiers, keine Frage – aber so ist die Rechtslage. Das könnte sich aber bald ändern. Vergangene Woche hat die Bundesregierung beschlossen, Pflegefamilien wie die Meiers zu stärken – Gerichte sollen entscheiden können, dass Kinder langfristig in den „Ersatzfamilien“ bleiben. „Die Unterstützung der Pflegefamilien wird verbessert und die Arbeit mit den Herkunftseltern gestärkt“, sagte Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig am 12. April in Berlin. „Außerdem erhält das Gericht die Möglichkeit, den dauerhaften Verbleib in der Pflegefamilie anzuordnen, wenn eine Verbesserung der Erziehungsverhältnisse in der Herkunftsfamilie weder erreicht wurde noch zu erwarten ist.“ Das Regensburger Gericht sieht bei der Mutter von Maximilian und Moritz in seinem Urteil nach wie vor emotionale und erzieherische Schwächen, aber eben keine Gefährdungslage für die Kinder. Keine Rolle spielt dabei das Schreiben einer Frau, die vor dem Umgang der Mutter mit Drogenkonsumenten warnte. Bis heute sei sie mit einschlägigen Konsumenten auf Facebook befreundet. Noch im Dezember 2015 schrieb das Landratsamt, dass der Umgang der Mutter mit den beiden Kindern auch 14-tägig nicht mehr zu gewähren sei, weil der Lebensgefährte der Mutter Drogen in der gemeinsamen Wohnung aufbewahrte. Später trennt sich die Mutter von dem Mann, seit Mai 2016 durften die Kinder wieder bei ihr übernachten. Für die Meiers ein Horror – sie wollen Maximilian und Moritz, die sie längst als „ihre Kinder“ angenommen haben, schützen.

Auch der Gutachter betont im Fall von Maximilian und Moritz eindeutig, dass es den Kindern bei den Pflegeeltern sehr gut geht. Maßstab für eine Beurteilung sei aber kein „Optimalitätsanspruch“, schreibt der Gutachter.

Gutachter schließt eine Überforderung nicht aus

Das Regensburger Amtsgericht urteilte jedenfalls im Januar 2017, dass die Kinder wieder zu ihrer leiblichen Mutter zurücksollen. Am 30. Juni soll das Urteil vollstreckt werden. Anders als 2014, als das Gericht körperliche und seelische Vernachlässigung attestierte, kam das Gericht jetzt zu dem Schluss, dass die Kinder wieder zu ihr zurückkehren könnten. Zwar hatte auch der Gutachter Befürchtungen, dass die Kindsmutter durch die Rückführung ihrer Kinder überfordert sein könnte. Auch erwartet das Gericht, dass es die Kinder destabilisieren könnte. Eine Kindswohlgefährdung sei das aber nicht mehr. Mehrfach verweist das Gutachten darauf, dass die Mutter nun ihre vierte Lehrstelle begonnen habe. Der geregelte Tagesablauf würde die Familie stabilisieren. Kurt Meier indes sagt, „wir wissen, dass der Arbeitgeber das Ausbildungsverhältnis gekündigt hat“. Die Pflegefamilie hat gegen das Urteil Beschwerde eingelegt. Ihre Elternliebe für die Pflegekinder ist eben stark ...

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