Politik
Immer mehr Politiker wechseln in die Wirtschaft

06.07.2017 | Stand 27.07.2023, 19:12 Uhr

Zwei Fälle, in denen Minister kurz nach dem Ende ihrer Amtszeit in die Wirtschaft gegangen sind, werfen erneut die Frage nach Regeln für solche Wechsel auf. In Brandenburg gründete Ex-Wirtschaftsminister Ulrich Junghanns (CDU) wenige Monate nach seinem Ausscheiden aus dem rot-schwarzen Kabinett im Januar 2010 eine private Consulting- Firma.

DEUTSCHLAND _25 WELT Bald darauf schloss der Politiker einen Beratervertrag mit dem Solarunternehmen Odersun AG aus Frankfurt (Oder) ab, das in seiner Amtszeit von 2002 bis 2009 mit insgesamt 13,4 Millionen Euro gefördert worden war. Wie Junghanns gegenüber dem SPIEGEL einräumte, beriet er Odersun bis Anfang 2012 zu "Rahmenbedingungen des Solarmarktes und zur Firmenfinanzierung". Wiederholt habe er dabei auch sein altes Ministerium aufgesucht und mit seinem Nachfolger Ralf Christoffers (Die Linke) über die Probleme des Unternehmens gesprochen. Nach eigenen Angaben half Junghanns Odersun unter anderem bei der erfolgreichen Beantragung von Landesbürgschaften zur Absicherung von Krediten in Höhe von zehn Millionen Euro sowie einer "Rettungsbeihilfe" in Höhe von drei Millionen Euro, die im Februar an Odersun gezahlt wurde. Gleichwohl ging das Solarunternehmen im März in die Insolvenz. Einen Interessenkonflikt zwischen seinem Ministeramt und dem später abgeschlossenen Beratervertrag wollte Junghanns auf Anfrage nicht erkennen.

Im Fall des früheren Bundesinnenministers Otto Schily (SPD) gibt es neue Belege, die zeigen, wie problematisch auch in diesem Fall der Übergang von Politik zu Wirtschaft war. Schily hatte sich 2006 an der inzwischen ebenfalls insolventen Sicherheitsfirma Safe ID Solutions AG aus Unterhaching beteiligt und war zuletzt deren Aufsichtsratsvorsitzender. Der Geschäftszweck des Unternehmens war unter anderem die Herstellung von elektronischen Pass-Systemen – also genau jener Bereich, den Schily als Innen minister vorangetrieben hatte. Nach Angaben von Ex-Chef Karsten Neugebauer war der Sozialdemokrat als "Türöffner" tätig. Schily selbst sagte, eine seiner Firmen habe bei der "Herstellung von Kontakten" und der "Anbahnung von Verträgen" geholfen. Für einen Millionenauftrag im Irak wurde der Schily-Firma eine Provision von der Safe ID zugesagt. Davon wurden nach Schilys eigenen Angaben 89.000 Euro tatsächlich ausgezahlt. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft München I gegen den früheren Firmenchef Neugebauer wegen des Verdachts auf Betrug. Dabei geht es auch um die Frage, ob in einem Fall ein noch unsicherer Auftrag gegenüber möglichen Anlegern als sicher dargestellt wurde, um neue Gelder einzuwerben. Neugebauer sagte auf Anfrage, er wisse von solch einem Verfahren nichts. Ein ehemaliger Vorstand hatte bereits 2011 in einem Schreiben an Aufsichtsratschef Schily schwere Vorwürfe gegen Neugebauer im Zusammenhang mit einem angeblich unsauberen Geschäftsgebaren erhoben. Ein gewünschtes Treffen hatte Schily zuvor schon abgelehnt. Heute begründet er das damit, dass es sich um verleumderische Beschuldigungen gehandelt habe.

Eine vom SPIEGEL durchgeführte Auswertung von Lebensläufen ehemaliger Kanzler und Bundesminister ergab unterdessen, dass immer mehr Politiker kurz nach Ende ihrer Amtszeit in die Wirtschaft wechseln und sich damit möglichen Interessenkonflikten aussetzen. Übernahmen aus den Kabinetten der Jahre 1969 bis 1982 nur drei Minister binnen zwei Jahren nach Dienstende Tätigkeiten in der Wirtschaft, so wechselten von den seit 2000 ausgeschiedenen Ministern elf in Privatunternehmen. Die Einführung einer gesetzlich verpflichtenden Karenzzeit oder einer unabhängigen Prüfkommission für derartige Fälle, wie es sie in anderen Ländern und bei der EU gibt, ist in Deutschland gleichwohl nicht zu erwarten. In einer Umfrage unter den fünf Bundestagsfraktionen lehnten Union und SPD beides ab.

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