Zwei Seiten einer Medaille: PaWo sprach mit CMP-Chefin und ver.di-Beauftragten
Einkaufen am Sonntag: Segen für die einen – Fluch für die anderen

11.07.2017 | Stand 21.07.2023, 4:09 Uhr
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Der Einzelhandel kämpft weiter um den verkaufsoffenen Sonntag. Doch auch die Gegner rüsten auf! Mittendrin: der Kunde.

PASSAU Der ist hin- und hergerissen zwischen der „grenzenlosen“ Einkaufs-Freiheit, dem Bedürfnis nach Ruhe und der Frage „Wie verdiene ich das ganze Geld, das ich noch zusätzlich ausgeben soll?“, während Warenhausmanager in Köln die Gründung einer Initiative „Selbstbestimmter Sonntag“ erklären, deren Ziel die vollständige Freigabe des Sonntags als Verkaufstag ist. Sehen Gewerkschaften das Ganze naturgemäß sehr kritisch und wachen mit Argusaugen über den einzig noch verbliebenen ruhigen Wochentag? Die PaWo sprach mit Claudia Huber, Geschäftsführerin von City Marketing Passau (CMP) sowie mit Monika Linsmeier von ver.di Niederbayern, Fachbereich Handel.

Nach Klagewellen gegen die aktuellen Regeln zum verkaufsoffenen Sonntag fordert der Einzelhandel Konsequenzen. Er will die komplette Freigabe der Öffnungszeiten. Wie stehen Sie dazu?

Dass etliche verkaufsoffene Sonntage in deutschen Städten zuletzt verboten wurden, halte ich für übertrieben. Dem stationären Einzelhandel geht es um Chancengerechtigkeit im Wettbewerb mit dem Online-Handel – der Sonntagnachmittag ist am umsatzstärksten. Die Innenstädte kämpfen mit Frequenz- und Umsatzverlusten, der Einzelhandel steht unter zunehmendem Konkurrenzdruck. Verkaufsoffene Sonntage sind keine Heilsbringer, aber sie haben relevante Werbeeffekte für den Handel, steigern die Standortattraktivität und sorgen für Umsatz, der wiederum für Arbeitsplätze sorgt. Der letzte verkaufsoffene Sonntag in Passau war gut besucht, der dazu von CMP veranstaltete „Frühlingsmarkt“ hat die Innenstadt stark belebt. Das ist wichtig, um sich im Wettbewerb mit anderen Städten zu positionieren. Die vom Handelsverband Deutschland geforderte Freigabe der Sonntagsöffnung halte ich für eine extreme Gegenposition und für schwierig gestaltbar. Sie könnte den Verdrängungswettbewerb ebenfalls verschärfen, kleinere Geschäfte können diese Öffnungszeiten personell nicht mittragen. Der Einzelhandel braucht vonseiten der Politik nicht nur Regulierungen, sondern Unterstützung bei einer Digitalisierungsstrategie. Denn stationärer und Online-Handel sind zwei Seiten einer Medaille.Claudia Huber:

Ver.di lehnt als Interessensvertretung für die Handelsbeschäftigten die Freigabe der Öffnungszeiten strikt ab. Sonntagsarbeit ist familienfeindlich und unsozial. Nicht umsonst wurde in der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland und auch erst wieder jüngst durch höchstrichterliche Rechtssprechung des Bundesverwaltungsgerichts der Schutz des Sonntags als arbeitsfreier Tag festgelegt. Neben der religiösen Bedeutung des Sonntags kommt dem Sonntagsschutz auch eine wichtige soziale Funktion zu. Die Beschäftigten im Handel arbeiten von Montagmorgen bis Samstagabend äußerst flexibel, dies macht es ihnen ohnehin schon schwer, ein soziales Leben neben dem Beruf aufrecht zu erhalten. Im Handel sind vorwiegend Frauen beschäftigt – circa 70 Prozent aller Beschäftigten im Handel sind Frauen–, die zumindest einen Tag in der Woche mit ihren Familien gemeinsam gestalten möchten. Sie brauchen mehr gemeinsame Zeit für ihre Familien, für ein soziales Zusammenleben und nicht noch mehr Stress und mehr Arbeit. Vor allem auch deshalb, weil die Arbeitsverdichtung an den übrigen Tagen ständig steigt. Die bisherige Praxis der verkaufsoffenen Sonntage wird zum Teil bereits mehr als ausgereizt. Denn vor jeder Sonntagsöffnung sind die Kirchen und Gewerkschaften von den Kommunen zu hören. Dies geschieht oft aus Unwissenheit bereits nicht. Nicht zuletzt sind es auch oft eher konstruierte Anlässe und der Wildwuchs nimmt immer mehr zu. In diesen Fällen denken wir als Gewerkschaft auch über Klagen gegen die rechtswidrigen Sonntagsöffnungen nach.Monika Linsmeier:

„Nur Umsatzverlagerung, keine -steigerung!“

Noch mehr verkaufsoffene Sonntage bringen lediglich eine Umsatzverlagerung und keine Umsatzsteigerung. Es ist bewiesen, dass nach verkaufsoffenen Sonntagen eher umsatzschwache Tage folgen. Denn: Die Kundinnen und Kunden können sich in dem Fall ja nur entscheiden, ob sie ihr Geld an einem der Wochentage ausgeben oder am Sonntag. Eine Geldvermehrung findet damit ja nicht statt.

Auch das Argument, der Onlinehandel erfordert es, dass der Einzelhandel an Sonntagen öffnen darf, zieht nicht, da auch im Onlinehandel Sonntagsarbeit nicht zulässig ist und der stationäre Handel den Wettlauf mit dem Onlinehandel nicht über Öffnungszeiten gewinnen kann, sondern lediglich über seine eigentlichen Stärken wie: gute Beratung durch genügend, motiviertes und kompetentes Personal.

„Kunden, Mitarbeiter und Händler sind mündig genug, um selbst zu bestimmen, ob sie am Sonntag einkaufen, arbeiten oder verkaufen wollen“, sagt Karstadt-Chef Stephan Fanderl. Und was sagen Sie?

Die Marktteilnehmer sind mündig, nur kann nicht jeder Arbeitnehmer frei entscheiden, ob er da nicht arbeiten möchte. Den klagenden Gewerkschaften geht es um Arbeitnehmerschutz. Nur stellt sich die Frage: Werden wir in Zukunft noch so arbeiten wie heute? Wen schützt man, wenn die analogen, stationären Arbeitsplätze nicht mehr sicher sind? Die Digitalisierung verändert weltweit die Arbeitswelt und das Konsumverhalten. Der Kultur- und Mentalitätswandel lässt sich nicht mit Verboten aufhalten. Der Wandel, in dem sich der Einzelhandel befindet, ist enorm, er ist digital und er muss mitgestaltet werden, um ihm nicht zum Opfer zu fallen.Claudia Huber:

„Druck auf Händler, dabei sein zu müssen“

Grundsätzlich muss man sagen, dass der Sonntagsschutz im Interesse aller in der Verfassung geregelt ist. Damit ist es nicht dem Einzelnen überlassen, wie der Sonntagsschutz auszulegen ist. Ich denke die Kundinnen und Kunden sind sicherlich mündig genug, um zu entscheiden, ob sie am Sonntag einkaufen gehen wollen. Hier denke ich, dass die Kundinnen und Kunden auch ein deutliches Zeichen setzen sollten und nicht am Sonntag ihren täglichen Bedarf decken. Die Geschäfte haben in der Regel von Montag 7 Uhr bis Samstag 20 Uhr offen. Das dürfte reichen, um sich zu versorgen. Verhungert ist auch bei den bisherigen Öffnungszeiten noch niemand. Bei den Händlern sieht es oft schon anders aus, sie beugen sich dem Druck, dabei sein zu müssen oder wollen. Allerdings glaube ich nicht, dass die kleinen Einzelhändler wirklich davon profitieren. Ich befürchte vielmehr, dass der bereits vorhandene ruinöse Verdrängungswettbewerb dadurch nur noch weiter angeheizt wird. Dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter frei entscheiden können, ob sie sonntags arbeiten möchten oder nicht, trifft nur dort zu, wo es entsprechende tarifliche oder betriebliche Regelungen gibt. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handel haben keine Wahl. Sie werden zur Arbeit eingeteilt und können dies oft nicht ablehnen, ohne Probleme befürchten zu müssen. Viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Handel sind befristet Beschäftigte, sie sind darauf angewiesen, dass ihr Vertrag verlängert wird oder in eine ständige Beschäftigung umgewandelt wird. Wer da „aufmuckt“ riskiert oft diese Vertragsverlängerung bzw. Übernahme in ein ständiges Arbeitsverhältnis. Aber auch ständig Beschäftigte trauen sich oft nicht, gegen den festgelegten Dienstplan aufzumucken aus Angst, dass es später die Retourkutsche gibt.Monika Linsmeier:

Nicht alle Händler stehen hinter den Forderungen nach einer Erweiterung der Sonntagsöffnung. In wohlhabenderen Bundesländern wie Bayern sind Forderungen nach einer Liberalisierung offenbar umstritten. Können Sie das erklären?

Bei diesem strittigen Thema wird es keine einhellige Meinung geben. Eine Sonntagsöffnung bedeutet z.B. zusätzliches Verkaufspersonal oder höhere Vergütung, also Mehrkosten. Außerdem gibt es kulturelle Gründe. Der Sonntag gilt als Feiertag und Familientag, an dem man seine Auszeit genießt, sich erholt und nicht arbeitet. „Am Sonntag genießt man eine Auszeit!“Claudia Huber:

: Ich denke es liegt daran, dass es vielen Händlern bewusst ist, dass durch die Sonntagsöffnung auch Kosten entstehen, die erst mal erwirtschaftet werden müssen. Hier spielt sicherlich auch die oben angesprochene Umsatzverlagerung und nicht Umsatzvermehrung eine Rolle. Die höheren Kosten werden oft dadurch ausgeglichen, indem dann halt zu den „normalen“ Öffnungszeiten das Personal ausgedünnt wird. Auch zeigen bundesweite Erhebungen deutlich, dass in Bundesländern mit liberaleren Öffnungszeiten die Umsätze nicht höher sind als in Bayern, im Gegenteil. Bayern liegt in den bundesweiten Statistiken der Umsätze immer auf den ersten Plätzen. Beispiel aus dem Jahr 2016: Hier lagen hinter Bayern Bundesländer wie Bremen, Hamburg, Niedersachsen, Hessen, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen obwohl ihre Öffnungszeiten länger sind als in Bayern.Monika Linsmeier

Welche Vor- bzw. Nachteile birgt das alles für den Kunden?

Vorteil: Der Kunde hat keinen Zeitdruck und kauft ein, wenn er (Frei)Zeit hat. Nachteil: keinen. Ein frei denkender Mensch wird die Sonntagsöffnung nicht nutzen, wenn es ihm oder ihr wirklich nicht gefällt.Claudia Huber:

Als Vorteil, wenn man das so nennen will, sehe ich die uneingeschränkte Möglichkeit ständig meinen Bedarf decken zu können und nicht mehr planen zu müssen, was ich beispielsweise am Sonntag essen möchte. Aber ich denke, die Nachteile überwiegen langfristig auch für die Kundinnen und Kunden. Die Vielfalt im Handel wird durch den Verdrängungswettbewerb schrumpfen. Die Beratung und der Service werden schlechter werden, da das vorhandene Personal ausgedünnt wird bzw. durch noch billigere Arbeitskräfte ersetzt wird, um die Kosten im Griff zu haben, und vor allem wird der gesellschaftliche Zeitanker des einen gemeinsamen freien Tages zerstört.Monika Linsmeier:

Der Weg vom verkaufsoffenen Sonntag zu „alle sollen am Sonntag arbeiten, weil es ja ,normal‘ ist“, ist dann sicherlich nicht mehr weit. Damit wären auch die Kundinnen und Kunden von heute nicht mehr in der Lage, am Sonntag einkaufen gehen zu können, da sie selbst arbeiten müssen. Das Ende der Spirale wäre eine „Rund um die Uhr Gesellschaft“, die niemand wirklich wollen kann.

Passau