„A Clockwork Orange“
Ein Kaleidoskop des Grauens

31.01.2018 | Stand 25.07.2023, 2:24 Uhr
−Foto: Foto: Peter Litvai

Markus Bartl inszeniert Anthony Burgess‘ „A Clockwork Orange“

PASSAU „Die trauen sich was!“, das war mein allererster Gedanke, als bekannt gegeben wurde, dass das Landestheater Niederbayern in dieser Spielzeit eine Bühnenfassung von Anthony Burgess‘ bitterbösem und extrem gesellschaftskritischen Roman „A Clockwork Orange“ zeigen würde.

Das Buch, wie die berühmte und mehrfach preisgekrönte Verfilmung von Stanley Kubrick, haben seit jeher Leser und Publikum wegen der reichlich enthaltenen – zum Teil schonungslos grausamen Gewaltexzesse – gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen.

Ein drastischer, ein brutaler Theaterabend

Das sollte man unbedingt wissen, wenn man im Stadttheater Platz nimmt, damit es nicht von vorne herein zu vermeidbaren Enttäuschungen kommt und man das Stück nicht – wie einige Besucher am Premierenwochenende in Passau – demonstrativ vorzeitig verlässt. Man darf, ja man sollte sich auf einen drastischen, einen brutalen Theaterabend einstellen.

Alles andere wäre auch eine komplette Themaverfehlung und man hätte das Projekt gar nicht ansetzen dürfen. Der Inhalt von „A Clockwork Orange“ hat es in sich, denn das Leben der Hauptfigur Alex und seiner Teenager-Gang ist ein Kaleidoskop des Grauens: stehlen, prügeln, vergewaltigen und morden.

Alex wird irgendwann bei einem neuerlichen Exzess verhaftet und im Rahmen einer Gehirnwäsche einer besonderen Therapie unterzogen.

Aus einem Kriminellen soll ein guter Bürger konfiguriert werden, dem schon beim Gedanken an Gewalt quasi der Mageninhalt nach oben kommt. Was auch mehrmals passiert ...

Regisseur Markus Bartl, bekannt für seine konsequenten, vom Konzept stets sehr besonderen Inszenierungen, hat für die aktuelle „A Clockwork Orange“-Produktion eine eigene Theaterfassung des Romans zusammengestellt.

Bartl mixt die drastische Handlung mit zahlreichen Texten eines turkmenischen Diktators, die über Tonband eingespielt werden. Olaf Schürmann hat diese blumigen Monologe – die eindeutig auch eine Form von staatlicher Gehirnwäsche darstellen – mit Hingabe eingesprochen. Pantomimisch performt werden die Texte von den unterschiedlichen Darstellern, die mit einer einheitlichen Gesichtsmaske als „Gurbanguly Berdimuhamedow“ fungieren.

Leider wird dieser sehr geschickte Kniff erheblich überstrapaziert. Wenn sich die Aufführungszeit gen drei Stunden bewegt, ist der zwölfte Auftritt mit diesen pathetischen Lebensweisheiten nicht mehr wirklich prickelnd.

Bartl zeigt die Gruppenvergewaltigung, die zum Teil wirklich widerlichen Demütigungen und die zahlreichen Prügelszenen bewusst als offensichtliches Theater im Theater.

Da wird beim Brechen der Knochen für jedermann erkennbar ein Hölzchen geknackt, es fliegen bei den Schlägereien neben den Fäusten auch demonstrativ gleich die Blutbeutel durch die Luft oder die männliche Masturbation mit allen Schikanen wird überspitzt mit einem XL-Plastikpenis zelebriert.

Diesen vom Regisseur gewählten, „gewalt-abschwächenden“, durchaus comichaften Ansatz in Ehren: „A Clockwork Orange“ im Theaterzelt ist einer jener Fälle, bei dem man als Besucher unbedingt einen Zugang finden muss, um sich auf dieses Projekt einlassen zu können. Einfach nur Zusehen geht nicht. Wer diesen Zugang nicht findet, bleibt – wie der Schreiber dieser Zeilen – trotz der unbestreitbar großen inszenatorischen und schauspielerischen Qualität der Produktion auf der Strecke.

Darstellercrew mit extremem Einsatz

Die Darstellercrew gibt absolut alles und stellt sich voll in den Dienst der Sache. Allen voran Julian Niedermeier, der die Titelfigur des Alex mit extremem körperlichen und energetischen Einsatz gestaltet. Auch Mona Fischer, Antonia Reidel, Ella Schulz, Manuel Karadeniz, David Moorbach, Alessandro Scheuerer und Joachim Vollrath sind zu jeder Zeit präsent und zeigen eine geschlossene Ensembleleistung.

Fazit: Ein in vielfacher Hinsicht verstörender Theaterabend, der beim Zuschauer in letzter Konsequenz eine Reihe von Fragezeichen zurücklassen wird. Doch das ist mit Sicherheit durchaus Zweck des Projekts.

Passau