Immunität aufgehoben
Die Familie der ermordeten Sophia bleibt stark – und geht gegen Höckes Bild-Missbrauch vor

18.12.2018 | Stand 13.09.2023, 0:22 Uhr
−Foto: n/a

Für die Familie der ermordeten Sophia Lösche aus Amberg war es, als wäre die Schwester nochmal gestorben: Sie sahen ein Bild von ihr, von AfD-Anhängern auf einem rechtsgerichteten Protestmarsch durch Chemnitz getragen. Eine Strafanzeige gegen einen Mitorganisator und gegen Björn Höcke scheint nun Folgen zu haben. Die Staatsanwaltschaft Chemnitz hat ein Ermittlungsverfahren eingeleitet. 47 Verfahren sind derzeit anhängig wegen der rechtsextremen Demos dort, sagte eine Sprecherin der Behörde.

AMBERG/CHEMNITZ Für den Bruder der ermordeten Sophia (28), und ihre Eltern war es so, als hätte man Sophia ein zweites Mal ermordet: Am 1. September dieses Jahres fand in Chemnitz ein sogenannter „Trauermarsch“ statt. Nach einem Tötungsdelikt, an dem Migranten beteiligt waren, kam es in Chemnitz wochenlang zu Demonstrationen, begleitet von Ausschreitungen und rechtsextremen Delikten. Der Thüringer AfD-Landesvorsitzende und Landtagsabgeordnete Björn Höcke marschierte bei der Demo in der ersten Reihe. Zudem, das sagt Sophias Bruder Andreas Lösche, selbst Grünen-Politiker, habe Höcke ein Bild des „Trauermarschs“ auf seiner Facebook-Seite geteilt, das Sophia neben anderen vermeintlichen Opfern der Zuwanderungspolitik zeigt. Man hatte sie auf Plakate gedruckt und durch die Straßen von Chemnitz getragen. Jetzt hat die Staatsanwaltschaft die Erlaubnis für ein Ermittlungsverfahren beim Thüringer Landtag beantragt bereits am 5. Dezember hob der Landtag Höckes Immunität auf.

Schon kurz nach dem Trauerzug hatte die Familie von Sophia ein Statement veröffentlicht, in dem sie die Verwendung des Bildes scharf kritisierte: „Es ist völlig offensichtlich, dass jemand, der inmitten von ,Absaufen-Absaufen!‘-Rufen und Hitlergrüßen marschiert, nicht trauert. Diese Veranstaltung war kein Ort der aufrichtigen Trauer um Sophia oder sonst irgendjemanden, sondern ein Ort der Hetze und der Niedertracht“, hieß es. „Sophia ist kein Opfer irgendeiner Einwanderungspolitik – nicht nur, weil der Tatverdächtige gar kein in Deutschland lebender Immigrant war. Wir lassen nicht zu, dass das Andenken an unsere Sophia für ausländerfeindliche Zwecke missbraucht wird“, hieß es weiter.

Höcke selbst hatte letzte Woche die Anschuldigungen weit von sich gewiesen. Er habe lediglich eine öffentliche Demonstration mit einem Bild „dokumentiert“. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft Chemnitz hat man nach Aufhebung der Immunität Höckes das Ermittlungsverfahren wegen eines Verstoßes gegen das Kunsturhebergesetz eingeleitet. Man habe wegen der Verwendung des Bildes von Sophia auf der Demonstration „bei den Eltern als nächste Angehörige der Abgebildeten nicht nachgefragt“, so die Staatsanwaltschaft. „Ferner veröffentlichte Björn Höcke auf seiner Facebook-Seite ein Foto diese Aufzuges, auf dem auch der Träger mit dem Foto der Sophia Lösche zu sehen ist.“

Die Ereignisse und Demonstrationen in Chemnitz haben eine Vielzahl von strafrechtlichen Verfahren nach sich gezogen. „Bei uns im Haus sind derzeit 47 Strafverfahren anhängig, die teilweise aber bereits etwa mit einem Antrag auf Erlass eines Strafbefehls oder einer Einstellung abgeschlossen sind“, sagt Ingrid Burghart, Sprecherin der Behörde. Den Großteil der Verfahren führe ohnehin die Generalstaatsanwaltschaft in Erfurt. Doch die Demonstrationen von „Pro Chemnitz“ am 30. August und eben auch jene am 1. September fielen in die Zuständigkeit ihrer Behörde. Hauptsächlich seien dies Verfahren wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte oder dem Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen. Die Staatsanwaltschaft hatte beim Landtag übrigens nicht die Aufhebung der Immunität beantragt, sondern zunächst nur die Erlaubnis zur Einleitung eines Ermittlungsverfahrens. „Der Landtag hat dann aber gleich die Immunität aufgehoben“, sagte Burghart. Ob am Ende ein Strafprozess gegen den Thüringer AfD-Chef steht, ist offen: „Herr Höcke hat das Bild selbst nicht getragen, insofern wird auch noch ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt geführt“, so die Sprecherin weiter. Denn die Familie hat auch denjenigen angezeigt, der Sophias Bild auf den Plakatständer gedruckt hat. Und auch der Träger des Bildes wird strafrechtlich verfolgt.

Sophias Bruder Andreas Lösche erläuterte auf Anfrage, dass die Strafanzeige der Familie nicht nur gegen Höcke gerichtet ist. „Unsere Klage geht weit über die Veröffentlichung des Bildes auf Facebook hinaus.“ So habe man die Staatsanwaltschaft aufgefordert, zu prüfen, ob Höcke Mitveranstalter der Demo gewesen sei und damit strafrechtlich verantwortlich sei für die öffentliche Zurschaustellung von Sophias Bild. Zudem, sagte Lösche, habe man aus ganz Europa Trauerbekundungen erhalten, sogar vom spanischen Ministerpräsidenten. „Die AfD oder Herr Höcke waren nicht dabei.“

Die Studentin Sophia war am 14. Juni verschwunden. Sie war als Tramperin in den Lastwagen eines Marokkaners gestiegen. Wochen später fand man eine Tote in Spanien, die Leiche der ermordeten Studentin. Als dringend Tatverdächtig gilt der Lkw-Fahrer, der beim Versuch, Spanien in Richtung Marokko zu verlassen, festgenommen und schließlich nach Deutschland ausgeliefert worden war.

Regensburg