Theater
Neue Intendanz eröffnet mit „Orpheus und Eurydike“ – und überzeugt!

06.07.2017 | Stand 13.09.2023, 3:59 Uhr
Gabriele Pinkert
−Foto: Foto: Theater Regensburg

Los ging die neue Spielsaison unter der Intendanz von Jens Neundorff von Enzberg zwar bereits am Freitag mit „Shockheaded Peter", doch natürlich blickte das Theaterpublikum Regensburgs insbesondere auf die erste Oper. Die war mit „Der neue Orpheus / Orpheus und Eurydike" durchaus sehenswert.

REGENSBURG Gleich zu Beginn der neuen Spielzeit setzt der ebenfalls neue Intendant Jens Neundorff von Enzberg am Regensburger Theater geschickt Zeichen: Die erste Oper, die er inszenieren lässt, behandelt zugleich den ältesten Opernstoff, der überliefert ist: Die Liebesgeschichte von Orpheus und Eurydike. Das allein für sich gesehen ist noch nicht aufsehenerregend; die Tatsache , dass der klassisch-eingängigen Fassung von Christoph Willibald Gluck der Weill´sche „Neue Orpheus“ vorangestellt und damit ein erster Kontrapunkt gesetzt wird, schon.

Mutig ist dieses Zusammenspiel vor allem unter zwei Gesichtspunkten: Glucks Oper findet in der beliebtesten aller Orpheus-Versionen leichten Zugang mit vertrauten Melodien; die Weill´sche Kantate aus dem Jahre 1925 wird dem breiten Publikum bisher wohl eher unbekannt sein und muss mit ihrer durchgängigen Klarheit und teilweisen, auch sprachlichen, Schärfe das Ohr des Zuhörers zunächst gewinnen. Während Gluck seinen Orpheus im 18. Jahrhundert noch an die Liebe und den Zauber des Gesangs glauben lässt, mit der er die Mächte der Unterwelt besänftigen und seine Geliebte nach überstandener Probe wieder zum Leben erwecken will, beschreibt Weill Orpheus als durchschnittlichen Zeitgenossen („1m78 groß, 68 Kilo, Augen braun, Stirn schmal, steifer Hut. Katholisch, sentimental“), der im Großstadtgetöse agiert und sich auch gern den Verlockungen zwielichtig-nächtlichen Unterhaltensgeschehens hingibt.

In der hiesigen Bühnenfassung singt Eurydike noch nicht einmal gegen Orpheus direkt an, sie nehmen sich gegenseitig nicht wahr, weshalb hier die Frage aufkommt, wer von beiden zu sehr in seiner, und damit in der „Unter-„Welt verfangen ist. Hinzu kommt, dass beide Versionen in direkter Folge aufgeführt werden, was für zusätzliche Spannung sorgt. Verbindendes Element: Das Bühnenbild, das insgesamt auf das Wesentlichste reduziert und in schlichtem Weiß zwar strahlend (rein), aber dennoch zurückhaltend ist. Die klaren geometrischen Formen aus dem ersten Teil werden im zweiten Teil aufgegriffen und finden dort noch Zuspitzung in einer dadaistisch-surrealistischen Komposition. Nur einige wenige Grau- und Brauntöne färben vereinzelt Szenen ein, um dennoch den Hauptfiguren in ihrer Farbigkeit Vorrang zu lassen. Einzig absolut kontrastierend die in schwarz-weiß gehaltene Hades-Szenerie, die nicht minder ästhetisch beeindruckend nahezu pantomimischen Charakter aufweist. Mit Amor im weißen Ballonkleid, das von roten Blütenranken verziert ist, wird die Farbe der Liebe minimal und doch offensichtlich akzentuiert und am Ende schließlich vervielfacht.

Stimmlich überzeugend treten sowohl Michaela Schneider (Eurydike) als auch Gastsänger und Countertenor Yosemeh Adjei als Orfeo – in der Premierenbesetzung - an das Publikum heran. Bemerkenswert: Schneiders Vielschichtigkeit in Stimme und Darstellung, sowohl ihre Weill´sche als auch die Gluck´sche Eurydike wirken trotz ihrer Gegensätze überzeugend. Eine beschwingte Leichtigkeit, die schon nah in die unterhaltsame Richtung der Operette geht, erfährt das Bühnengeschehen durch die amourösen Auftritte von Aurora Perry.

Wunderbar inszeniert sind Chor und Statisten, die mit ihrem Einsatz nicht nur die anfängliche Kantate auf ein ebenbürtiges Niveau zur anschließenden Oper heben, sondern mehrfach erstaunen lassen. Vor allem der erste Chorauftritt erscheint als eine Art Gemälde, welches in der Betrachtung innehalten lässt. Auch die teilweise Verortung im Publikum – obwohl als Stilmittel schon hinlänglich bekannt – führt hier (trotzdem) zum Erfolg: Überrascht fragt sich der „normale“ Gast, ob es der Nachbar oder doch ein Ensemblemitglied ist, das da über das Blinde-Kuh-Spiel lacht, das Amor mit Orfeo treibt.

Komödiantisch gut ins Szene gesetzt der dazugehörige Gang des suchenden Liebenden in Richtung Orchestergraben. Apropos Orchestergraben: Unter der Leitung von Tetsuro Ban gelingt dem Philharmonischen Orchester Regensburg der schwierige Spagat zwischen neuzeitlicher Moderne und klassischer Interpretation sehr gut. Zunächst leicht verzögert aber im Verlauf des Abends deutlich zunehmend kommt nach einem kraftvoll liedhaften Weill auch die zarte Feinsinnigkeit der Gluck-Oper mehr und mehr zum Tragen.

Das Publikum ging mit am ersten Abend. Minutenlanger Applaus und vielfache Bravo-Rufe galten nicht nur der Besetzung, sondern auch Peter Lund, der für die Inszenierung verantwortlich zeichnet und der für Bühne und Kostüm verantwortlichen Claudia Doderer. Alles in Allem: Eine gelungener Auftakt in eine neue Spielzeit und ein „Orpheus“ der es wert ist, auch ein zweites Mal geschaut und gehört zu werden.

Regensburg