Kirche
Kardinal Müller nennt Vorwürfe mangelnder Missbrauchs-Aufklärung bei Domspatzen ,postfaktisch'

11.07.2017 | Stand 13.09.2023, 1:47 Uhr
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Der frühere Regensburger Bischof Gerhard Ludwig Kardinal Müller hat Vorwürfe zurückgewiesen, die Aufklärung des Missbrauchsskandals bei den Regensburger Domspatzen verhindert zu haben.

REGENSBURG_25ROM In einem Interview mit der Passauer Neuen Presse (Druckausgabe vom 16. Dezember) wies Müller die Vorwürfe, die auch von Insidern der Regensburger Domspatzen gegenüber dem Wochenblatt getätigt wurden, zurück, er habe die Aufklärung des Missbrauchsskandal bei den Domspatzen verhindert oder verzögert. Wörtlich sagte Müller der PNP: „Die gezielt verbreiteten postfaktischen Behauptungen, ich hätte die Aufklärung sogar noch drei Jahre über das Ende meiner Amtszeit am 1. Juli 2012 hinaus verzögert und sogar verhindert, sind schlichtweg falsch, weil sie den Tatsachen widersprechen. Man muss die Zuständigkeiten und die entsprechenden Amtszeiten klar voneinander trennen.“

Müller sagte auf die Frage hin, ob er zu einem Gespräch mit Opfern bereit wäre: „Persönliche seelsorgerliche Gespräche bleiben ihrer Natur nach vertraulich. Was ich aber beitragen kann zur Aufklärung der Straftaten gegen Kinder und Jugendliche, die sich allerdings schon 40 bis 50 Jahre vor meinem Amtsantritt als Bischof von Regensburg ereignet hatten, werde ich dem von der Diözese beauftragten Rechtsanwalt Ulrich Weber mitteilen.“

Immer wieder wurde Müller vorgeworfen, er habe Fälle von Sexuellem Missbrauch verschleppt. Ein Fall ist auch höchstrichterlich entschieden: Der Missbrauchs-Skandal von Riekofen. Im August 2007 hatte das unglaubliche Martyrium endlich ein Ende: 22 Mal hatte sich, in einem Zeitraum zwischen 2004 bis zu seiner Verhaftung 2007, der damals 39-jährige spätberufene Pfarrer Peter K. an einem zunächst elfjährigen Ministranten sexuell vergangen. Als der Fall ruchbar und K. in Handschellen abgeführt wurde, war das Entsetzen in der Pfarrei riesig: War der Pfarrer ein Pädophiler? Er war einer: „Kernpädophilie“ hatte ihm ein Gutachter attestiert – und das bereits vier Jahre, bevor er dennoch wieder in der Seelsorge eingesetzt wurde – und acht Jahre vor seiner Verhaftung.

Wie sich bei einem Strafprozess im Jahr 2008 herausstellte, war das in Müllers bischöflichem Ordinariat längst bekannt: Bereits im Jahr 2000 war der Priester zu einer Bewährungsstrafe verurteilt worden. Er hatte zwei Brüder, damals neun und zwölf Jahre alt, am Rande eines Faschingsballs im Pfarrheim unsittlich berührt. Da war K. noch Kaplan. 2004, Müller war das schon Bischof in Regensburg, wurde er als Pfarradministrator in Riekofen eingesetzt, wo er im Keller des Pfarrhofes regelrecht eine Spielwiese für seine minderjährigen Opfer eingerichtete. K.s Dekan wurde telefonisch vom damaligen Generalvikar gewarnt: „Er sagte mir, dass da was mit Kindern ist und ich ein Auge auf ihn werfen soll“, so der Dekan. Und: „Ich sollte Stillschweigen bewahren darüber“, gab der Geistliche bei der Polizei zu Protokoll.

Das Bistum Regensburg versuchte bis zum Prozess gegen den pädophilen Priester und weit darüber hinaus, jegliche Verantwortung für das Geschehene abzustreiten. An seiner Spitze stand damals Gerhard Ludwig Müller als Bischof von Regensburg. Heute ist Müller mächtiger Glaubenspräfekt in Rom – der einstige Pfarrer von Riekofen ist längst laisiert worden, wegen dem Missbrauch des Ministranten wurde er zu drei Jahren Haft und Unterbrindung in der Psychiatrie verurteilt. Einen Besuch vor Ort, wo die aufgewühlten Eltern entsetzt waren darüber, was ihr Pfarrer im Keller des Pfarrhauses mit den Ministranten getrieben hatte, verweigerte sich Müller.

Als zahlreiche Medien, unter anderem 2010 über die Missbräuche im weltberühmten Knabenchor der Domspatzen berichteten, sprach Müller kein „Mea Culpa“ – im Gegenteil. Der damalige Bischof von Regensburg hatte zwar seinen eigenen Priestern per Erlass das Anrufen weltlicher Gerichte untersagt, er selbst aber erwies sich als klagefreudig. Als mehrere Medien berichteten, Müller habe den Fall des Riekofener Pfarrers vertuscht, bemühte Müller die Justiz – sogar bis zum Bundesgerichtshof.

Doch der BGH bestätigte ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamburg: Man könne Müller zuschreiben, „dass mit dem Vorwurf der ‚Vertuschung‘ die erneute Verwendung des Priesters im Gemeindedienst gemeint ist, die erfolgte, ohne dass im neuen Umfeld des Kaplans bekannt gegeben worden wäre, dass er sich wegen Missbrauchs strafbar gemacht hatte und von ihm möglicherweise eine Gefahr ausgehen könnte.“

Dabei steht der Fall Riekofen geradezu exemplarisch für den Umgang mit sexuellem Missbrauch in der Kirche, bevor in Deutschland eine Welle der Empörung die Bischöfe zwang, Richtlinien zu erlassen. K. war bereits als Kaplan 1999 in Niederbayern übergriffig geworden. Eine Amtsrichterin hatte K. zu einem Jahr Haft, ausgesetzt auf drei Jahre zur Bewährung verurteilt. Auflage damals: Er dürfe keinesfalls in der Jugendarbeit eingesetzt werden. Doch bereits 2001 wurde der Kaplan wieder im Bistum Regensburg eingesetzt, Bilder in seiner Personalakte belegten da bereits Ausflüge mit Ministranten – trotz der gerichtlichen Auflage. Das Bistum behauptete damals, die Fotos hätten auch im Nachhinein in die Akte gelangen können.

Immer wieder gab es auch innerhalb der Domspatzen Vorwürfe, Müller habe 2010, als die Missbrauchsfälle bei den Domspatzen bekannt wurden, vor allem aus Schutz des damaligen Papstes Benedikt XVI. versucht, eine Aufklärung wenn nicht zu verhindern, dann doch so klein wie möglich zu halten. Benedikts Bruder Georg Ratzinger war selbst als Domkapellmeister zwischen 1964 und 1994 bei den Domspatzen tätig. Er selbst hatte stets von sich gewiesen, beispielsweise von drakonischen Prügeln des Leiters im Internat in Etterzhausen gewusst zu haben. Für Müller indes seien Vorwürfe gegen ihn nur der Versuch, ihn und seinen Nachfolger auseinander zu dividieren: „Wie aus der Chronologie der diözesanen Auf- arbeitung auf der Homepage des Bistums hervorgeht, habe ich in meiner Eigenschaft als Bischof von Regensburg ab Frühjahr 2010 nach den erstmaligen Meldungen dieser schweren Delikte an die Bistumsleitung den Aufklärungsprozess initiiert und strukturiert. Ich bin aber froh und dankbar, dass auch nach meiner Amtszeit das 2010 Begonnene mit großem Engagement fortgesetzt wird. Der Versuch, einen früheren Bischof von Regensburg gegen den jetzigen auszuspielen, scheitert angesichts der Tatsachen“, sagte Müller der PNP.

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