22-Jähriger wegen Mordes vor Gericht
Er soll seine Freundin erstochen haben

06.07.2017 | Stand 13.09.2023, 4:03 Uhr
Monika Kretzmer-Diepold

34-Jährige starb nach Messerstichen. Angeklagter weitgehend geständig. Angeblich Blackout bei der Tat

TÜßLING/TRAUNSTEIN Der 22-jährige einschlägig vorbestrafte Auszubildende Jakob M. aus Tüßling soll in der Nacht des 2. Januar 2012 nach einem Streit seine 34-jährige Freundin Natascha R., Mutter dreier Kinder, in deren Wohnung in Mühldorf mit einem Messer mit 13 Zentimeter langer Klinge erstochen haben.

Seit Dienstag, 9. Oktober, muss sich der junge Mann wegen Mordes aus Heimtücke und niederen Beweggründen vor dem Schwurgericht Traunstein  verantworten. Fortsetzungstermine finden statt am 11., 15. und 16. Oktober, Beginn ist jeweils um 9 Uhr.

Am ersten Verhandlungstag legte der 22-Jährige, dem als Verteidiger Rechtsanwalt Jörg Zürner aus Mühldorf zur Seite steht, ein Geständnis ab und bezeichnete frühere abweichende Aussagen vor der Polizei als „gelogen“.

Im September 2011 lernte sich das Paar in Mühldorf am Arbeitsplatz der Frau in dem Spielcasino „La Palma“ in Mühldorf kennen. Etwa drei Wochen vor der Tat zog der gebürtige Altöttinger mit im dritten Ausbildungsjahr abgebrochener Landschaftsgartenbauerlehre zu der Frau. Wortreich und ziemlich ruhig schilderte er eine anfangs harmonische, später schwierige Beziehung mit der 13 Jahre älteren Frau.

Beide sprachen dem Alkohol zu, waren oft „stockdicht“ nach seinen Worten. Binnen Wochen trennte und versöhnte sich das Paar mehrmals, wie der 22-Jährige berichtete. Er habe einmal eine Watschen bekommen, sei häufig beschimpft worden, etwa, wenn er keine Lust hatte, abends noch Zigaretten zu holen oder wenn er mit Altersgenossen weggehen wollte.

In einem Supermarkt kauften die Beiden gemeinsam für sechs Euro Verlobungsringe. Der Angeklagte betrachtete die Ringe vorgeblich nur als „Freundschaftsringe“. Ernsthaft heiraten habe er - im Gegensatz zu ihr - nicht wollen. Dass er im Standesamt das Aufgebot für die Hochzeit am 13. Januar 2012 bestellt habe, wies der Tüßlinger zurück. Seine Freundin habe nur eine Bescheinigung besorgt. Er selbst sei nicht mit ins Standesamt gegangen, habe draußen gewartet.

Auf Fragen der Prozessbeteiligten blieb er dabei, er sei nie eifersüchtig gewesen und nie aggressiv geworden gegenüber der 34-Jährigen. Seine Alkoholprobleme und früheres „Ritzen“ spielte der Angeklagte herunter.

Die Silvesternacht 2011/12 verbrachten der Angeklagte und seine Freundin bis nach Mitternacht bei Bekannten. Am Neujahrstag kam unter anderem der älteste Sohn der 34-Jährigen zu Besuch. Nachdem ihr Vater nach einem Herzinfarkt im Krankenhaus in Mühldorf lag, fuhren die Frau, ihr Sohn, ihr Ex-Freund und der Angeklagte nachmittags zur Klinik und danach noch zu ihrer Mutter nach Ampfing. Dort geriet das Paar erneut in Streit.

Der 22-Jährige verließ gegen Mitternacht die Wohnung in Ampfing und orderte an einer Tankstelle ein Taxi. Die 34-Jährige traf eine halbe Stunde nach dem Freund zu Hause ein. Folgt man dem Angeklagten, wurde er im Zug des Streits von ihr als „Arschloch“ und „Wichser“ beschimpft, bespuckt und ins Gesicht geschlagen. Sie soll ihn aufgefordert haben, seine Sachen zu packen und zu verschwinden. Danach soll die Stimmung der Frau umgeschlagen haben: „Sie wollte, dass ich doch bleibe.“

Auf ihre Aufforderung hin habe er ihr ein Messer aus der Küche geholt. „Warum?“ wollte der Vorsitzende Richter wissen. Die Antwort: „Ich weiß nicht, warum. Sie wollte ein Messer, ich habe es geholt. Man kann damit eine Bierflasche aufmachen.“

Die Frau trank an dem Abend Bier und Eierlikör. Später stellten Rechtsmediziner einen Blutalkoholgehalt von mehr als zwei Promille fest. Der 22-Jährige hatte gemäß Anklage von Staatsanwalt Dr. Martin Freudling 0,40 Promille Alkohol im Blut.

Während des weiteren Streits ging es um eine durch Frost auf dem Balkon schon angeknackste Eierlikörflasche - die der Angeklagte der Freundin erst nachwarf und ihr dann auf den Kopf schlug. Blutüberströmt und benommen saß die Frau auf dem Sofa. Er wollte einen Krankenwagen holen. Dagegen habe sie sich gewehrt, gesagt, er solle sich „verpissen“. Der Angeklagte weiter: „Sie hatte das Messer in der Hand. Ich habe es ihr weggenommen. Ich hatte einen Blackout, wusste nicht, was ich tue. Ich habe dreimal zugestochen, einmal ins Schulterblatt, das weiß ich.“

Nach den Stichen sei er „erstmal geschockt gewesen“, so der 22-Jährige. Das Gericht verwies auf insgesamt sechs Stiche. Daran könne er sich nicht erinnern, so der Angeklagte. „Weil das passiert ist und ich voller Blut war“, wurde er „sauer“ und zerstörte mit einem Hammer den Fernseher. Noch immer unter Schock habe er seine Mutter angerufen, sie erst beim dritten Mal erreicht, fuhr der Auszubildende fort.

Die bereits leblose 34-Jährige war von Notarzt und Sanitätern trotz Wiederbelebungsversuchen nicht mehr zu retten. Die Polizei nahm den 22-Jährigen als einzig Tatverdächtigen fest. Anfangs sprach er von einem „Unfall“. Seine Freundin sei ihm „ins Messer gefallen“.

Vor Gericht nahm er die wechselnden Aussagen zurück: „Wie ich es heute gesagt habe - so war’s.“ „Sie machen einen relativ unbeteiligten Eindruck. Was denken Sie jetzt darüber?“ fragte der Vorsitzende Richter. Der Mann reagierte mit dem Wort „Scheiße“ und zeigte erstmals Tränen: „Ich habe nicht nachgedacht.“ Und zum Motiv: „Keine Ahnung, was es war.“

Mehrere Sachverständige, darunter ein psychiatrischer Gutachter zur Frage der Schuldfähigkeit des 22-Jährigen zur Tatzeit, kommen in dem Prozess zu Wort. Die Familie der Getöteten als Nebenkläger vertritt Rechtsanwalt Andreas Knoll aus Waldkraiburg.

Altötting