Im Winterquartier angekommen
12. Menschengeführte Migration mit Waldrappen erfolgreich

12.09.2017 | Stand 28.07.2023, 16:52 Uhr
−Foto: n/a

Waldrappe bewältigen Strecke von 940 Kilometern in sieben Etappen

BURGHAUSEN Am 6. September um 08:30 Uhr ist eine ungewöhnliche Formation, bestehend aus zwei Ultraleicht-Fluggeräten und einer Gruppe junger Waldrappe, vom Flugplatz in Borgo San Lorenzo nördlich von Florenz gestartet und nach 04:48 Stunden Flugzeit und 190 km Flugdistanz in der südlichen Toskana nahe dem WWF Schutzgebiet Laguna die Orbetello gelandet. Damit wurde die 12. Menschengeführte Migration erfolgreich beendet, die Waldrappe sind in ihrem Wintergebiet angekommen. Die Reise startete am 14. August in Überlingen am Bodensee, Baden-Württemberg. Die Gesamtstrecke von 940 km wurde in sieben Etappen während eines Zeitraums von 24 Tagen geflogen.

Von den ursprünglich 31 Jungvögeln starb ein Tier während der Migration infolge innerer Verletzungen, die von geschluckten Metallteilen verursacht wurden. Die verbleibenden 30 Vögel haben die Flugroute in das Wintergebiet gelernt. Johannes Fritz, Manager des von der Europäischen Union im Rahmen des LIFE+ Programms kofinanzierten Projektes: Mit dem Abschluss dieser Migration geht eine sehr erfolgreiche Saison zu Ende. 30 Gründerindividuen für eine Brutkolonie in Überlingen am Bodensee sind im Wintergebiet angekommen und können dort ausgewildert werden.

Die Vögel bleiben nun für rund drei Wochen in einer Voliere im Zentrum des Schutzgebiets WWF Oasi Laguna di Orbetello. Die beiden Ziehmütter Corinna und Anne-Gabriela, die für sechs Monate mit den Vögeln zusammengelebt haben, bleiben vor Ort, ziehen sich aber immer mehr zurück. Die Jungvögel können sich an das Umfeld und an die wilden Artgenossen außerhalb der Voliere gewöhnen, bevor sie Ende September in mehreren kleinen Gruppen freigelassen werden. Frühestens 2019 werden die ersten Waldrappe nach Überlingen zurückkehren, ab 2020 sollen dort die ersten Vögel brüten.

Zu den Höhepunkten dieser Migration zählt der spektakuläre Flug von Vorarlberg über den Arlberg nach Tirol, der die Formation mit den 31 Vögeln auf 2400 m Seehöhe führte. Weniger erfolgreich verlief der erste Versuch, von Ried im Oberinntal aus den 1.500 m hohen Reschenpass zu überfliegen. Er musste mangels geeigneter Thermik abgebrochen werden. Einen Tag später, beim zweiten Versuch, war dieser Pass mithilfe guter thermischer Aufwinde kein Problem mehr.

Dramatische Höhepunkte waren die zweimaligen Attacken von Steinadlern in den Alpen, einmal im Vintschgau nahe Meran und einmal südlich von Bozen. Zu einer weiteren Attacke kam es beim Anflug zum Apennin, ohne in diesem Fall den Angreifer identifizieren zu können. Verluste hat es bei den Attacken keine gegeben. Allerdings musste in den Alpen eine Etappe infolge der Angriffe vorzeitig beendet werden und am Apennin flogen nach dem Angriff neun Vögel retour nach Norden. Johannes Fritz: Vermutlich kam es zu den vermehrten Angriffen durch Greifvögel während der letzten zwei Migrationen, weil wir vermehrt versuchen, die Vögel in thermischen Aufwinden energiesparend in die Höhe zu führen. Diese Aufwinde werden auch von Großgreifvögeln genutzt. Die Erfolgsrate der Greifvögel ist aber offenbar gering.

Zu den wichtigen Erfolgen dieser Migration zählen auch wissenschaftliche Datennahmen. Während zweier Flugetappen trugen alle Vögel GPS-Datenlogger am Rücken, welche die Positionen der Vögel mit hoher Genauigkeit und mit einer Frequenz von fünf Positionen pro Sekunde aufzeichnen. Bernhard Völkl von der Universität Bern: Wir haben einen einzigartigen und umfassenden Datensatz bekommen. Er wird uns erlauben, die beiden energiesparenden Flugtechniken der Waldrappe im Detail zu untersuchen, den Formationsflug und den Thermikflug. Zudem wurden von Alexandra Scope, Veterinärmedizinische Universität Wien, im Rahmen von Veterinärscreenings Daten zur Physiologie und Blutchemie gesammelt. Alexandra Scope: Wir bekommen ein immer umfassenderes Verständnis von den physiologischen Anpassungen der Waldrappe. Das hilft uns dabei, die Wiederansiedlung dieser Zugvögel zu optimieren und Erkrankungen zu diagnostizieren.

Acht Partner aus Österreich, Deutschland und Italien wollen den Waldrapp, eine der am stärksten vom Aussterben bedrohten Zugvogelarten, wieder in Europa ansiedeln. Das Projekt ist der erste Versuch, eine kontinental ausgestorbene Zugvogelart wieder anzusiedeln. Derzeit umfasst der Bestand des Ansiedlungsprojektes rund 110 Individuen.

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