Zukunft der Augenheilkunde
Intelligente Software als digitale Zweitmeinung für den Augenarzt

22.11.2017 | Stand 04.08.2023, 1:40 Uhr
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Bei einigen Augenerkrankungen stehen Ärzte vor der Entscheidung, ob eine Spritze ins Auge notwendig ist. Dabei könnten sie zukünftig von einer intelligenten Software unterstützt werden, die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Regensburg (UKR) in augenärztlicher Diagnostik trainiert haben.

REGENSBURG Besonders ältere Menschen leiden sehr häufig an nachlassendem Sehvermögen. So sind allein rund 4,5 Millionen Deutsche von der Altersabhängigen Makuladegeneration betroffen, und nahezu alle Diabetiker werden irgendwann einmal mit der Diagnose Diabetische Retinopathie konfrontiert. Solche Netzhauterkrankungen sind eine der häufigsten Ursachen für schwere Sehbeeinträchtigungen bis hin zur Erblindung. Die Optische Kohärenz-Tomographie (OCT), bei der eine Aufnahme von der Netzhaut angefertigt wird, ist Betroffenen als diagnostisches Standardverfahren vertraut. Auf Basis der OCT-Bilder und einer augenärztlichen Untersuchung entscheidet der Augenarzt über die Art der Behandlung. Eine mögliche Therapieoption stellt eine Injektion ins Auge dar, die dem Erhalt der Sehschärfe dient. Laut einer aktuellen Studie von Wissenschaftlern des Universitätsklinikums Regensburg ist nun auch ein Computerprogramm dazu in der Lage, OCT-Bilder auszuwerten und die entsprechende Behandlungsentscheidung zu treffen. „Wir haben einer Software gezeigt, wie wir Augenärzte OCT-Bilder beurteilen. Danach haben wir den Computer gefragt, wann er eine Injektion durchführen würde. Das Ergebnis ist beeindruckend“, beschreibt Studienautor Dr. Philipp Prahs, Leitender Oberarzt an der Klinik und Poliklinik für Augenheilkunde des UKR, sein Vorgehen.

Computer wird in der Auswertung von Netzhautaufnahmen geschult

Die Forschergruppe um Dr. Prahs hat für die Studie, die vor wenigen Tagen von der renommierten internationalen Fachzeitschrift „Graefe’s Archive for Clinical and Experimental Ophthalmology“ publiziert wurde, über 165.000 OCT-Aufnahmen in eine intelligente Software eingespeist. Jede Aufnahme war gekoppelt mit der Information, ob sich die Augenärzte für oder gegen eine Spritze entschieden haben. Danach musste das Programm bei weiteren 17.000 Aufnahmen selbst beurteilen, ob es eine Injektion durchführen würde. Die Software traf in bis zu 96 Prozent der Fälle die gleiche Entscheidung wie die Augenärzte. „Der Computer nimmt nach einem Lernprozess bei der Analyse von neuen OCT-Bilddaten eine Art Rasterfahndung nach bestimmten anatomischen Merkmalen im kompletten Bildarchiv vor. Bei der Beurteilung eines neuen Bildes schöpft er also aus dem Erfahrungsschatz der 165.000 verfügbaren Aufnahmen“, erklärt Dr. Prahs.

Bei der Programmierung einer solchen Software wird die Funktionsweise der Nervenzellen im menschlichen Gehirn virtuell imitiert. Dadurch erlangen Computer die Fähigkeit, zu lernen und dann eigenständig Bilder zu beschreiben, Gesichter zu erkennen oder eben auch OCT-Bilder zu klassifizieren. „In den letzten Jahren wurden erhebliche Fortschritte im Bereich der künstlichen Intelligenz und der Bildverarbeitungsforschung erzielt. Wir haben diese Erkenntnisse auf die Analyse von Aufnahmen der Netzhaut übertragen“, beschreibt Dr. Prahs die seiner Studie zugrundeliegende Logik.

Die digitale Zukunft der Augenheilkunde

Wird also künftig ein Computer statt eines Augenarztes beurteilen, ob ein Patient mit Altersbedingter Makuladegeneration eine Injektion ins Auge erhält? „Natürlich spielen bei der Entscheidung des Arztes im Gegensatz zur Software noch andere Komponenten als das reine OCT-Bild eine Rolle“, beruhigt Dr. Prahs. Dennoch könnten derartige maschinelle Lernmethoden den Kliniker unterstützen – sozusagen als digitale Zweitmeinung und als schnell zugängliches, äußerst wertvolles Archiv von Therapieentscheidungen aus der Vergangenheit. „Es sollte allerdings darauf geachtet werden, die Entscheidung des virtuellen Gehirns nicht als Behandlungsempfehlung zu interpretieren und eine abschließende gründliche Bewertung durch den behandelnden Arzt sicherzustellen“, empfiehlt Dr. Prahs.

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